
© Kitty Kleist-Heinrich
Landeshauptstadt: Schmerzhafte Einschnitte
Die Krankenhausreform soll die Qualität der Behandlung sichern. Doch nun leiden Potsdams Kliniken
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Komplizierte Eingriffe an der Speiseröhre, komplexe Operationen an der Bauchspeicheldrüse, Leber- und Nierentransplantationen oder auch die sachkundige Behandlung von Frühchen: Um die Qualität der Behandlung zu steigern und zugleich überflüssige Operationen zahlenmäßig zu begrenzen, hatte der Bund vor zwei Jahren eine Krankenhausreform beschlossen. Dabei wurden sogenannte Mindestmengen für bestimmte komplizierte Behandlungen festgelegt, die jede Klinik jährlich erfüllen muss. Die Botschaft lautete: Nur Häuser, die über genug Routine bei solchen Eingriffen verfügen, sind auch in der Lage, Patienten adäquat zu versorgen.
Ein durchaus vernünftiger Ansatz, finden auch die Chefs der Potsdamer Krankenhäuser. Aus ihrer Sicht hat die Reform allerdings einen gewaltigen Haken: Sie benachteiligt alle Einrichtungen in Ballungsräumen, die mit Bevölkerungswachstum und damit auch steigenden Patientenzahlen konfrontiert sind. Denn die Reform setzt unterschiedslos nicht nur Mindest-, sondern auch Obergrenzen fest, die sich an den Behandlungszahlen vergangener Jahre orientieren. Damit soll vermieden werden, dass sich darbende Kliniken in bevölkerungsarmen Gegenden mit gut bezahlten Fällen, etwa die Implantation von Knie- oder Hüftgelenken, auf Kosten der Betroffenen finanziell sanieren.
Für Krankenhäuser in Metropolen oder Speckgürtelkommunen hat das aber zur Folge, dass die Krankenkassen für jeden Fall, der über das Limit hinausgeht, Abschläge einbehalten, das behandelnde Krankenhaus also weniger Geld bekommt. In der Praxis kann das so weit gehen, dass die jeweilige Klinik am Ende sogar draufzahlt. Das betrifft zum Beispiel das Bergmann-Klinikum. Rund 40 000 Fälle wurden in dem kommunalen Krankenhaus im vergangenen Jahr stationär behandelt, in diesem Jahr sollen es wegen des anhaltenden Bevölkerungswachstums 2000 mehr werden, sagt Klinikum-Geschäftsführer Steffen Grebner. Diese Behandlungen bekomme das Krankenhaus aber nicht nur nicht von den Kassen vergütet, sondern es gebe sogar einen finanziellen Verlust. Denn die Abschläge summierten sich laut Grebner auf 105 Prozent der erbrachten Leistungen. Bei einem Gesamtvolumen von sechs Millionen Euro für diese Fälle würden dem Klinikum somit 6,3 Millionen Euro von den Kassen abgezogen. „Wir sind damit gezwungen, Leistungen de facto umsonst anzubieten“, sagt Grebner. In die Verlustzone rutscht das städtische Krankenhaus, das zuletzt einen Überschuss von rund vier Millionen Euro erwirtschaftet hat, damit zwar noch nicht. „Aber der Gewinn wird deutlich kleiner ausfallen“, sagt Grebner. Gegensteuern könne man nur mit „Verschlankung von Prozessen“, etwa die Wartezeiten bei ressortübergreifenden Behandlungen und damit die Liegezeiten der Patienten zu verkürzen oder günstigere Konditionen bei Materialeinkäufen zu verhandeln.
Auch die Oberlinklinik treffen die Auswirkungen der Reform schmerzlich. Der auf orthopädische Behandlungen spezialisierten Klinik, die zu den größten und besten Deutschlands gehört, fällt nun genau diese Fachkompetenz finanziell auf die Füße. 50 Operationen zum Einsatz von künstlichen Kniegelenken sieht der Gesetzgeber pro Jahr mindestens vor, damit die Qualität gewährleistet ist. Im Oberlinhaus wurden aber allein 2016 fast 680 solcher Eingriffe durchgeführt, im Vorjahr waren es sogar fast 700. Bei den Hüftgelenken sind die Zahlen sogar noch höher: Fast 1000 Implantate wurden im vergangenen Jahr dort Patienten eingesetzt. Steigen diese Zahlen weiter, wird es für die Klinik teuer, weil die Kassen 105 Prozent dieser Kosten einbehalten. Und gerade diese Eingriffe schlagen finanziell besonders ins Kontor. 7800 Euro kostete 2016 eine Knieprothese, 7300 Euro ein Hüftgelenk. Erschwerend hinzu kommt, dass es ab diesem Jahr weniger Geld gibt: Um 300 Euro senken die Kassen die Zahlungen pro Knie-, gar um 600 Euro pro Hüftgelenk. Allein deswegen werde man in diesem Jahr rund eine Million Euro an Erlös einbüßen, sagt Oberlinklinikchef Michael Hücker. „Das ist absurd, weil es den Wunsch des Gesetzgebers nach mehr Qualität konterkariert.“
Der Geschäftsführer des katholischen St.-Josefs-Krankenhauses konnte sich am Dienstag aus terminlichen Gründen nicht äußern, allerdings dürfte das Haus, das ebenfalls wachsende Patientenzahlen zu bewältigen hat, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.
Selbst im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin in der Weinbergstraße, das sich auf Therapie, Diagnostik und Pflege älterer Menschen spezialisiert hat, in dem aber keine Operationen durchgeführt werden, sieht man die Lage kritisch. Zwar gebe es an der Einrichtung noch keine konkreten Auswirkungen der Krankenhausreform, aber der „stete Abrechnungskampf erbrachter Leistungen“ mit den Krankenkassen „schürt das Spannungsfeld permanenter Unterfinanzierung der Personal- und Sachkostensteigerungen“, sagt Chefärztin Christine Eichler.
Auch Grebner und Hücker fordern vom Gesetzgeber Nachbesserungen. Mindestmengen für komplexe Eingriffe zu definieren, um die Qualität der Behandlung zu sichern, sei grundsätzlich richtig, so Grebner. Er befürworte daher auch die am Dienstag erhobene Forderung der AOK, solche Standards auch für Hüftgelenksimplantationen, Brust- und Schilddrüsenkrebsoperationen sowie Geburtshilfe festzulegen. Bei den Obergrenzen aber müsse es Ausnahmen geben, sagen Grebner und Hücker unisono. Und zwar für alle Krankenhäuser in Wachstumsregionen.
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