Sport: Schnelle Schritte mit Haftung
Melanie Seeger setzt bei der Rekordjagd auf gelaserte Augen – auch um die Disqualifikationstafel zu erkennen
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Melanie Seeger setzt bei der Rekordjagd auf gelaserte Augen – auch um die Disqualifikationstafel zu erkennen Von Jan Brunzlow Die Frage nach dem Warum nervt Melanie Seeger am Meisten. Oft gestellt, und immer wieder mit dem gleichen Blick von Unverständnis. Warum Gehen? Es ist neben Hammerwerfen und Diskus die wahrscheinlich am wenigsten beachtete leichtathletische Disziplin der letzten Jahre. Bei internationalen Hallenmeisterschaften wurde sie gar aus dem Programm genommen, in Deutschland gelang es nach Protesten, die 3000 Meter auf der Hallenbahn zu erhalten. Es erscheint wie ein ungeliebtes Kind der Sportfunktionäre im Deutschen Leichtathletik- Verband, diese Fortbewegung mit der hawaiianischen HulaHula-Bewegung und den Schritten mit permanenter Bodenhaftung, in der Melanie Seeger ihre Erfolge feiert. Seeger zuckt mit den Schultern, wenn sich die Streitereien wieder einmal um ihren Sport drehen. Sie ist Geherin, seit knapp zwei Jahrzehnten und dabei momentan international die erfolgreichste Deutsche. Bei den Weltmeisterschaften in Paris wurde sie Achte, Andreas Erm holte gar Bronze. Ein Medienspektakel für und um die beiden, denn durch das schwache Abschneiden der deutschen Mannschaft avancierte Gehen zu einem der WM-Mittelpunkte aus deutscher Sicht. In Potsdam knüpfen dabei beide an die Tradition von Olympiasieger Peter Frenkel und Weltmeister Ronald Weigel an, das Leistungszentrum am Luftschiffhafen hat sich zur Hauptstadt in punkto Gehen entwickelt. Seeger hat mit ihren Teilnahmen an Weltmeisterschaften, ihren deutschen Rekorden und ihrer Dominanz im Gehen dazu beigetragen. Seit drei Jahren konnte ihr keine den Titel über die 20 Kilometer auf der Straße abspenstig machen, national führt sie die Ranglisten an. International versucht die 27-Jährige die Lücke zwischen sich und den Chinesinnen oder Russinnen zu schließen. Ein weiter Weg, in Metern kaum auszudrücken. Gut vier Minuten beträgt ihr Abstand zur absoluten Weltspitze. Ob sie jemals dort ankommen wird, darüber kann die Sportsoldatin nur spekulieren. Aber bei einem ist sie sich sicher: ihre Möglichkeiten dahin zu kommen, schöpft sie voll aus. Fleiß und Trainingseinstellung gehören zu den Stärken der einen Meter und 69 Zentimeter großen Sportlerin, die mit Lebensgefährte Tim Wieskötter gemeinsam in der Berliner Vorstadt wohnt. Der Gartenzaun am Mietshaus ist zugleich Start und Ziel der Trainingsrunden, die sie allein rund um den Heiligen See oder über die Glienicker Brücke in den Berliner Forst zieht. Kilometer fressen heißt die Devise in der Saisonvorbereitung, immerhin muss sie zwanzigtausend Meter im Eiltempo absolvieren – zwischen drei und fünf Mal pro Saison. Nur selten hat sie Begleitung bei ihren Ausdauerläufen, in der sie gegen Tristesse und Monotonie kämpft. Die von Michael Klabuhn verfassten Trainingspläne werden abgearbeitet, wie ein Uhrwerk spult sie ihr Pensum herunter. Wohl wissend wofür. Der Erfolg ist ihr Ziel, im Sommer bei Olympia in Athen. Der Erfolg hat sich für Seeger auch im Einklang mit der Gesundheit entwickelt. Früher oft in der Wintermonaten krank, gelang ihr in den beiden letzten Jahren ein nahezu kontinuierlicher Saisonaufbau. Muskuläre Probleme oder Rückenbeschwerden lässt sie inzwischen mit chinesischer Heilkunst behandeln und schwört dabei auf Akupunktur. Prominenteste Beispiele für Sportler, die sich akupunktieren lassen, sind Tour-de-France- Sieger Jan Ulrich sowie Schwimm-Weltmeister und -Weltrekordhalter Thomas Rupprath. Mit Nadeln heilen, die Bedenken stachen bei Seeger anfangs mit. Doch inzwischen ist sie von der Methode überzeugt, die Jürgen Eschert, Teammanager der Potsdamer Rennkanuten, ihr empfohlen hat. Auch, wenn sie den so genannten Sportpunkt noch nicht gefunden hat. Diesen vor einem Wettkampf akupunktiert, soll dem Körper leistungstreibende Hormone und Endorphine ausschütten Aber nicht nur die Behandlung mit Nadelstichattacken ließ Seeger zuletzt über sich ergehen. Auch ihre Augen hat sich die Athletin des SC Potsdam lasern lassen. Kontaktlinsen mochte sie bei Wettkämpfen nicht, die Konsequenz daraus war: sie konnte die Disqualifikationstafel nicht erkennen. Probleme im Umgang mit den Geh-Regeln hat sie zwar selten, doch nun hat sie nach einer Operation beim Augenarzt der deutschen Olympiamannschaft in Athen, Dr. med Volker Rasch aus Potsdam, ihre hundertprozentige Sehkraft wieder. Nicht nur ein Vorteil beim Sport und dem Lesen der Anzeigetafel. Die Lebensqualität insgesamt habe sich dadurch verbessert. Die Kosten für die Operation übernahm zum Großteil die deutsche Sporthilfe, neben der Bundeswehr einer der Hauptsponsoren der Potsdamerin. Die letzten vier Wochen verbrachte Seeger in 2500 Meter Höhe, genauer in Toluca, Mexiko. Gemeinsam mit Andreas Erm und Bundestrainer Ronald Weigel absolvierte sie nach Dullstrom, Südafrika das zweite Trainingslager in diesem Jahr, das dritte folgt im Juli in den bulgarischen Belmeken. Und wie in den beiden Jahren zuvor spricht Seeger, die ihr Abitur an der Sportschule Potsdam und später eine Ausbildung als Arzthelferin absolviert hat sowie ein Studium an der FH Potsdam begann, von einer guten Form zu diesem Zeitpunkt der Saison. Die Folgen der letzten Jahre waren der Deutsche Rekord in 1:29:44 Stunden, der siebte Platz von Paris und die Nominierung für Athen. Ihre Saison in diesem Jahr beginnt in drei Wochen beim Weltcup in Naumburg – es wird die erste Standortbestimmung für die Frau, die seit 1988 sportbetont über Bahnen und Straßen geht. Und die darauf hofft, dass die Walkingbewegung zum Volkssport wird und ihr Sport sowie die dazu gehörigen Leistungen mehr Anerkennung finden.
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