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Aus dem GERICHTSSAAL: Schöne bunte Zirkuswelt?

Angeklagte: „Die meisten Helfer sind weg, bevor ich sie bei der Versicherung gemeldet habe!“

Stand:

Eine ganze Artistenfamilie sitzt auf der Anklagebank des Amtsgerichts. Silvana A.* (40) hat sogar ihren jüngsten, 14 Tage alten, Spross mitgebracht. „Die Kleine ist genauso in den Zirkus hineingeboren worden wie wir alle. Sie wird einmal unsere Tradition weiterführen“, erzählt die stolze Mama, deren zwei ältere Kinder bereits in der Manege auftreten. Schon der Urgroßvater des jetzigen Seniors Alfredo A.* fuhr mit seiner Truppe, Zelt und Wagen durch die Lande, begeisterte mit Elefanten, Pferden und Kamelen groß und klein. „Wir müssen ganz schön um unser Überleben kämpfen. Mal haben wir Geld, dann wieder nicht. Das wichtigste ist, dass die Tiere satt werden“, präsentiert Alfredo A.* (66) die Philosophie des kleinen Familienunternehmens, das vorwiegend die neuen Bundesländer bereist. „Aber eigentlich wollen wir gar nichts anderes machen.“

Obwohl jeder im brandenburgischen Zirkus Luna* seine speziellen Aufgaben hat, sind Aushilfskräfte stets gefragt, besonders zum Auf- und Abbauen des 300 Zuschauer fassenden Zelts. Die müssen bei der Versicherung natürlich ordnungsgemäß angemeldet werden. Die Staatsanwaltschaft legt der Artistenfamilie nun zur Last, zwischen Mai 2001 und Februar 2004 zehn Ausländer beschäftigt zu haben, ohne die Beiträge für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung abgeführt zu haben. Rund 19 000 Euro sollen sie der entsprechenden Versicherung dadurch vorenthalten haben.

„Den Schreibkram macht immer meine Frau“, meldet sich Senior Alfredo zu Wort. „Damit habe ich nichts am Hut.“ Tochter Silvana* (40) ergänzt: „Meine Mutter nimmt die Arbeitgeberfunktion wahr. Sie besitzt auch die Reisegewerbegenehmigung und vertritt unseren Zirkus gegenüber den Behörden.“

Nachdem dies geklärt ist, dürfen Alfredo A. samt Tochter und derem Lebensgefährten den Verhandlungssaal verlassen. Ihre Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt. Übrig bleibt Rosalie A.* (64). Die fühlt sich nicht als Betrügerin, wie ihr die Anklage vorwirft. „Ich weiß, dass ich die Aushilfskräfte anmelden muss. Das Problem ist nur, die meisten denken, das Leben beim Zirkus ist bunt wie eine Seifenblase. Sobald sie merken, dass sie hier richtig anpacken müssen und trotzdem nicht viel Geld verdienen, sind sie weg.“ Von den zehn Ausländern mit Arbeitserlaubnis, die sich im betreffenden Zeitraum bei ihr gemeldet hätten, wären – bis auf eine junge Frau – alle wieder verschwunden gewesen, bevor sie die nötigen Formalitäten hätte erledigen können, beteuert die Luna-Chefin. „Normalerweise riecht Betrug in dieser Größenordnung nach einer Freiheitsstrafe“, gibt Amtsrichter Wolfgang Peters zu bedenken. Da Rosalie A. durch ihr Geständnis dem Gericht eine umfangreiche Beweisaufnahme ersparte, wird sie verwarnt. Eine Geldstrafe von 1800 Euro wird zur Bewährung ausgesetzt. (*Namen von der Redaktion geändert.) Hoga

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