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Hospizdienst auf Hermannswerder: Schöne letzte Tage

Wenn der Tod zum Beruf gehört: Heike Borchardt leitet den ambulanten Hospiz- und Palliativberatungsdienst auf Hermannswerder. Sie begleitet Sterbende zu Hause und berät Trauernde.

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Wenn es nach Heike Borchardt geht, ist Hermannswerder ein idealer Ort zum Trauern. Der ambulante Hospiz- und Palliativberatungsdienst, den sie leitet, hat seine Räume in einem Backsteinhaus im Grünen. Hier treffen sich Trauergruppen mit Kindern, verwaisten Eltern und anderen Angehörigen zum Austausch und Rückzug. Neben der Trauerarbeit kümmert sich der Dienst vor allem darum, Sterbende in der letzten Phase ihres Lebens zu begleiten. „Viele haben den Wunsch, daheim zu sterben“ sagt Borchardt. Genau dorthin geht sie und leistet Sterbenden, Angehörigen und Freunden Beistand.

Die Arbeit mit dem Tod als ständigem Begleiter ist nicht für jeden etwas. Borchardt aber hat darin vor vielen Jahren ihre Berufung gefunden. Zuvor war sie in Pflegeberufen tätig, auch in der Familie gab es Sterbefälle. Der Umgang damit lag ihr. Aber wie ist das, wenn der Tod zum beruflichen Alltag gehört? Laut Borchardt ist der Sinn klar: man gibt Zeit, Geduld und Talente und bekommt Lebensgeschichten, Dankbarkeit – und eine gelassenere Einstellung zum Sterben.

2011 gründete sie den Dienst alleine, bis vor einem Jahr hatte sie ihren Standort noch am Babelsberger Weberplatz. Auf Hermannswerder sind neben ihr noch vier weitere Hauptberufliche beschäftigt, sie sind drei Sozialarbeiterinnen und zwei Krankenschwestern. Weitere hundert arbeiten ehrenamtlich mit. Der Hospiz- und Palliativberatungsdienst ist der einzige ambulante Dienst in Potsdam und versteht sich ergänzend zu Krankenhäusern, Pflegeheimen, und -diensten. Er steht unter der Trägerschaft der Hoffbauer Stiftung. Bereits seit den 70er-Jahren gibt es Hospizdienste in Deutschland, seit 2001 werden sie regelfinanziert, der Rest der benötigten Gelder kommt aus Spenden und Fördertöpfen.

Die Ehrenamtlichen, die den ambulanten Hospizdienst unterstützen, sind laut Borchardt Menschen zwischen 25 und 75 Jahren. „Oft melden sich lebensfrohe und -starke Menschen für das schwere Ehrenamt. Man muss eine Berufung darin sehen“, meint sie. Die Motivationen seien unterschiedlich, die Dauer auch. Manche arbeiten jahrelang mit, andere nur kurz. In der Regel betreut jeder einen Patienten, wer eine Auszeit braucht, darf sie sich nehmen.

Neben verschiedenen Veranstaltungen wie dem morgen stattfindenden Hospiztag bietet Borchardt alle zwei Wochen für den stationären Hospizdienst im Haus 13 auf Hermannswerder auch ein Hospizcafé für Bewohner und Angehörige an. Einige sitzen schon am gedeckten Kaffeetisch, darunter auch zwei Ehrenamtliche. Eine der beiden möchte anonym bleiben: Familie und Freunde wüssten noch nicht, dass sie sich für die Hospiztätigkeit interessiere – nicht nur ehrenamtlich, sondern auch als beruflicher Neuanfang. Zur Zeit besucht sie einen berufsbegleitenden Kurs, eine Voraussetzung für das Ehrenamt als Einstieg. Er findet zehn Monate lang alle zwei Wochen statt. Interessierte erhalten dabei Einblicke in die Tätigkeit und werden nach Abschluss von Hauptamtlichen bei den ersten Hausbesuchen begleitet.

Yvonne Franz, eine weitere ehrenamtliche Helferin, ist hauptberuflich Redakteurin. Seit einem Jahr nimmt sie alle zwei Wochen am Hospizcafé teil. Ihre Aufgabe: Mit den Bewohnern sprechen, den Angehörigen zuhören, Gesellschaft leisten. Einfach da sein. „Schauen Sie, wie alle strahlen“, sagt sie und blickt über den Kaffeetisch. Neun Leute vor drei Torten sei auch kein schlechter Start. Viele ihrer Bekannten hätten Respekt vor der Arbeit mit Todkranken, könnten es aber selbst nicht, sagt sie. Am Tisch herrscht lebendige Stimmung, in den Gesprächen geht es um Tiefgründiges oder darüber, wer den besten Kuchen gebacken hat. „Der mit den Kirschen und den Streuseln hat gewonnen“, verkündet eine ältere Dame. Auch Eva Gabel sitzt mit am Tisch. Sie hat ihren Mann vor einiger Zeit im Hospiz verloren, zu den Kaffeetreffen zu kommen sei ihr aber noch immer eine Herzensangelegenheit.

Mit dem Tod geht man hier ganz natürlich um. Dass er allgegenwärtig ist, zeigt eine Kerze ein paar Meter weiter vor einer Zimmertür im Flur. „Das heißt, dass ein soeben Verstorbener noch im Haus ist – bis der Bestatter kommt“, sagt Heike Borchardt. Es komme vor, dass Hospizbewohner beim nächsten Café nicht mehr mit am Tisch sitzen. Die zwei Wochen zwischen den Treffen sind lang: Die durchschnittliche Zeit, die ein Hospizbewohner stationär verbringt, sind elf Tage. „Gäste“ nenne man sie deshalb. Manche schauen sich das Haus vorher an, um dann in ihrer Patientenverfügung zu vermerken, dass sie hier die letzte Zeit verbringen möchten. Ob sie einen Platz bekommen, ist Glückssache. 2012 wurde das Haus als erstes stationäres Hospiz in Potsdam eröffnet – nach jahrelangem Finanzierungskampf. Die Dankbarkeit für die Einrichtung ist heute bei Angehörigen und Gästen groß, wie Einträge im Gästebuch andeuten. „Der Hospizdienst ist auch als Gegenangebot zur Sterbehilfe zu sehen“, sagt Borchardt. Es sei assistierte Sterbebegleitung statt assistiertem Suizid. Auch Herzenswünsche werden erfüllt: Manche möchten noch einmal verreisen. Eine Dame wollte Wassertaxi fahren, ein anderer wollte einen Schachgegner. Auf Hermannswerder, scheint für einige Sterbende und Trauernde die Lust am Leben wieder aufzublühen. Ein guter Ort, ein wichtiger Dienst, für schöne letzte Tage.

Rita Orschiedt

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