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Die Farben des Regenbogens symbolisieren die Vielfalt und Lebensfreude der Lesben und Schwulen. Für mehr Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen leistet das Aktionbündnis AndersARTig seit Jahren Aufklärungsarbeit an brandenburgischen Schulen.

© dpa

Von Antje Horn-Conrad: Schule unterm Regenbogen

„Jenny mit O“ und die Liebeslyrik des Catull: Wie sich sexuelle Orientierungen und vielfältige Lebensweisen im Fachunterricht thematisieren lassen

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Rot ist das Leben, orange die Gesundheit, gelb die Sonne, grün die Natur. Die Kunst ist blau und violett der Geist. Zusammen bilden sie den Regenbogen, das bekannteste Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung. Ein Zeichen der Vielfalt und Lebensfreude, dessen Spektralfarben künftig etwas intensiver auch in den Schulunterricht hineinleuchten sollen.

„Schule unterm Regenbogen“ heißt ein neues Arbeitsmaterial, das Lehrer ermutigen möchte, ein bislang sorgsam vermiedenes Themenfeld erstmals zu besetzen. Die Herausgeber, das Zentrum für Lehrerbildung der Universität Potsdam und das Brandenburgische LesBiSchwule Aktionsbündnis AndersARTig, stellten das hundert Seiten starke Papier vorgestern in Potsdam der Öffentlichkeit vor.

„Unsere Aufklärungsprojekte und Fortbildungen in Schulen laufen sehr gut, haben aber immer einen Sonderstatus, weil wir von außen kommen“, beschreibt Anja Rindler vom Aktionsbündnis ein altes Problem. Die frischgebackene Lehrerin hatte schon während ihrer Ausbildung bemerkt, dass sexuelle Orientierungen und die Vielfalt möglicher Lebensformen in den Rahmenlehrplänen kaum eine Rolle spielen. „Das wollten wir ändern und haben deshalb Materialien zusammengestellt, die solche Themen in den normalen Unterricht integrieren.“

Ansatzpunkte gibt es genug. „Schwul“ ist eines der häufigsten Schimpfworte unter Jugendlichen. Selten zielt es auf die Homosexualität eines Mitschülers, eher auf die Weichheit oder besondere Eigenart des anderen. Wie aber wirkt es auf jene Heranwachsenden, die in ihrer Entwicklung mehr und mehr spüren, tatsächlich „anders“ zu sein? Wie können sie sich ihren Freunden anvertrauen in einem Klima, in dem Schwulsein extreme Abwertung erfährt? Betroffene Schüler berichten von schweren inneren Konflikten, von Vertrauensverlust und Verängstigung. Aus der Angst entsteht oft ein lähmendes Schweigen. Und Schweigen, sagen die Fachleute vom Aktionsbündnis, ist der erste Schritt zur Ausgrenzung.

Wer aber das Schweigen brechen will, braucht die richtigen Begriffe und muss verstehen, was genau sie bedeuten. Deshalb haben die Autoren des Arbeitsmaterials ihren Unterrichtsempfehlungen ein Glossar vorangestellt, mit dem sie die auch bei vielen Lehrern beobachteten Wissenslücken schließen wollen. Es reicht von A wie Akzeptanz bis T wie Tunten, berührt sexuelle Besonderheiten ebenso wie die rechtlichen Belange eingetragener Lebenspartnerschaften. Und es beantwortet einmal mehr die häufig gestellte Frage nach den Ursachen der Homosexualität, allerdings mit der entscheidenden Rückfrage, was es denn ändere, zu wissen, warum jemand homosexuell ist.

Als nächsten Schritt der Annäherung empfehlen die Autoren Rollenspiele, mit denen die Schüler Konflikte erkennen und sich in die Situation eines anderen hineinversetzen können: Wie fühlt es sich an, ausgegrenzt zu werden wegen einer Sache, für die man nichts kann? Der Perspektivwechsel soll helfen, Vorurteile aufzubrechen und verfestigtes Ersatzwissen, das im Grunde nur der besseren Anpassung und Selbstbehauptung dient, zu hinterfragen. Auch Spielfilme wie „Brokeback Mountain“ oder „Aimée und Jaguar“ und der Verweis auf die Homosexualität berühmter Schauspieler und anderer Prominenter sollen den Zugang erleichtern und Gespräche unter den Schülern initiieren.

Die neue Qualität des jetzt zur Verfügung stehenden Unterrichtmaterials liegt jedoch nicht in der unkomplizierten Art der Aufklärung, sondern in der Integration des Themas in den normalen Unterrichtsstoff. Dadurch verliert es seinen Sonderstatus als schwieriges Randproblem und gewinnt an Normalität. Etwa, wenn im Fach Literatur eine gleichgeschlechtliche Liebesgeschichte wie die von „Jenny mit O“ der Jugendbuchautorin Karen-Susan Fessel behandelt wird. Darin flieht ein 17-jähriges Mädchen aus der Provinz in die pulsierende Großstadt, wechselt seine Identität, wird von Jenny zu Jonny und verliebt sich prompt in ein Mädchen. Viel Stoff für die Auseinandersetzung mit Geschlechterstereotypen.

Interessant ist auch die Empfehlung der Autoren, im Geschichtsunterricht die Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus zu behandeln. Die Materialsammlung hält hierfür biografische Porträts und authentische Berichte bereit. Selbst im Lateinunterricht ermöglicht die Beschäftigung mit Catulls erotischer Dichtung ein besseres Verständnis gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Prädestiniert dafür ist natürlich die Politische Bildung und das Fach Lebenskunde, Ethik, Religionen. Politiklehrerin und Mitautorin Anja Rindler findet es wichtig, in der Schule so früh wie möglich über vielfältige Lebensformen und deren Normalität zu sprechen, damit Vorurteile erst gar nicht entstehen.

Antje Horn-Conrad

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