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Landeshauptstadt: Schwarzarbeit bei einem Sozialträger?

Im Prozess gegen frühere Chefs des Rückenwind e.V. sieht das Amtsgericht weiteren Aufklärungsbedarf

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Das Trio auf der Anklagebank ist zusammen 197 Jahre alt. Ihm wird mehrfaches Vorenthalten von Arbeitsentgelt vorgeworfen – ein Delikt aus dem Bereich Schwarzarbeit. Allein der Sozialversicherung soll ein Gesamtschaden von 143 300 Euro entstanden sein. Die Vorwürfe liegen schon länger zurück. Sie betreffen den Zeitraum von Januar 2007 bis Dezember 2010. Am gestrigen Dienstag kam es zur – äußerst kurzen – Verhandlung vor dem Amtsgericht.

Als ehemalige Geschäftsführer des Vereins Rückenwind e. V. – einer der bekanntesten Sozialträger in Potsdam und Umgebung – sollen Ralf R.* (65), Gundula G. (64) und Helga H. (68) geplant haben, auf ganz besondere Weise die Zahlung von Steuern und Abgaben zu vermeiden. Denn laut Anklage sollen sie dafür verantwortlich sein, dass insgesamt 277 Hartz- IV-Bezieher jahrelang Honorarzahlungen oder Aufwandsentschädigungen für Betreuung und ehrenamtliche Tätigkeiten erhielten. Und das, obwohl sie tatsächlich Arbeitnehmer gewesen sein sollen. Laut der Staatsanwaltschaft hätten für die strittigen Zahlungen an die Hartz-IV-Empfänger eigentlich Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssen.

Die Bedürftigen sollen als Kraftfahrer, Möbelträger, Verkäufer, Helfer im Lager oder als Monteure in der ehemaligen Fahrradwerkstatt von „Rückenwind“ gearbeitet haben. Keiner sei als Betreuer qualifiziert gewesen, hieß es vor Gericht. Mit ihnen sollen Verträge über 100 Euro pro Monat für geringfügige Tätigkeiten abgeschlossen worden sein. Dadurch hätten die Angeklagten die Zahlung von Steuern und Abgaben vermeiden wollen, ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Steuer- und beitragsfrei seien derartige Zahlungen aber nur, wenn die ehrenamtliche Tätigkeit als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder Betreuer, in nebenberuflichen künstlerischen Bereichen oder der Pflege von älteren beziehungsweise behinderten Menschen erbracht werde, hieß es vor Gericht weiter. Für das Vorenthalten von Arbeitsentgelt sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Ein Nebeneffekt des Ganzen: Bei den Helfern soll das Jobcenter laut Medienberichten mittlerweile Rückforderungen von bis zu 5 000 Euro pro Person geltend gemacht haben.

„Wenn Sie wollen, können Sie sich jetzt äußern“, ermunterte Amtsrichter Oliver Kramm die Angeklagten nach Verlesung der Vorwürfe. Stellvertretend schüttelten die drei Verteidiger die Köpfe. Aus ihrer Sicht hätten sich ihre Mandanten nichts Unrechtes vorzuwerfen, so die Juristen. Um dies zu bekräftigen, kündigten sie zahlreiche Beweisanträge an. Weitere Zeugen seien zu laden.

Dem konnte sich der vorsitzende Richter nicht entziehen. „Es besteht weiterer Aufklärungs- oder sogar Ermittlungsbedarf“, konstatierte er und setzte das Verfahren nach nur wenigen Minuten Verhandlungsdauer aus. Kramm weiter: „Ein neuer Termin ergeht von Amts wegen.“

Bei dem bereits 1996 gegründeten Rückenwind e.V. können förderungsbedürftige Personen – unter anderem straffällig gewordene Jugendliche – Aus-, Fort- und Weiterbildungen in Sozialmaßnahmen und betreuten Beschäftigungsprojekten absolvieren, wie es auf der Internetseite des Vereins heißt. In Potsdam und in Teltow betreibt der Verein Möbelbörsen mit Einrichtungsgegenständen aus zweiter Hand, in Neuruppin steht ein Jugendrechtshaus. Ebenso wird ein Umzugsservice für sozial benachteiligte Bürger und gemeinnnützige Vereine angeboten.

Die Ermittlungen gegen die frühere Rückenwind-Spitze waren 2011 bekannt geworden, nachdem es bei dem Verein eine Hausdurchsuchung gegeben hatte. Damals waren auch weitere Querelen in dem Verein bekannt geworden, der Sozialträger geriet in die Krise. So hatte sich der Verein von dem langjährigen Geschäftsführer Ralf R. im Streit getrennt – wegen Differenzen in der Personalführung, wie es damals hieß. (*Namen von der Redaktion geändert) Hoga/ HK

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