Landeshauptstadt: Schwarzmarkt-Ware für Kinderdörfer
Willi Frohwein engagiert sich seit 60 Jahren für die Volkssolidarität in Potsdam
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Willi Frohwein engagiert sich seit 60 Jahren für die Volkssolidarität in Potsdam „Mit den Leuten habe ich niemals Probleme gehabt, nur mit den Funktionären.“ Lebhaft, das Handy professionell „am Mann“, schildert der 82-jährige Will Frohwein, wie er vor 60 Jahren die Volkssolidarität Potsdam mit ins Leben rief. Die Arbeit in dieser Massenorganisation, deren Gründung in seinem Geburtsort Berlin-Spandau von den Westalliierten nicht genehmigt wurde, beinhaltet sein Verständnis von Demokratie: „Ich wollte durchsetzen, dass alle Menschen gleich behandelt werden. Geld und Stand dürfen keine Rolle spielen.“ Und noch etwas lag ihm am Herzen. Jung und Alt sollten sich gegenseitig helfen. So begann 1946 seine Arbeit in Potsdam. Damals hatte Willi Frohwein allerdings noch nicht den Mut, alles gerade heraus anzusprechen, was ihm nicht gefiel. Sein Selbstbewusstsein war nach drei Jahren Vernichtungslager Auschwitz gebrochen. Er lebte nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen, wohin er kurz vor Kriegsende deportiert wurde, zurückgezogen. Der ehemalige Häftling – wegen Kriegssabotage verurteilt – konnte nicht darüber reden, was ihm an Demütigung und Schmerz zugefügt wurde. Doch dann begann die Volkssolidarität mit ihrer ersten Aktion „Rettet die Kinder!“. Willi Frohwein sah die Mädchen und Jungen, von den Eltern getrennt, hungrig, mit zerrissenen Kleidern, hilflosen Blicken: „Plötzlich war ich gezwungen, wieder mit Menschen zu sprechen. Ich war sofort dabei.“ Die Arbeit beim Sozialamt bestätigte Willi Frohwein, was er längst ahnte: Er hat eine ausgeprägte soziale Ader. Und dann übte er endlich den Beruf aus, für den er sich längst berufen fühlte. Er ging zur Kripo. Auf die Frage, wie das denn mit der Kinderaktion zusammen geht, antwortet der heutige Babelsberger: „Ich hatte ja viel mit Schwarzmarktgeschäften zu tun. Was wir beschlagnahmt hatten, bekamen die Kinderdörfer.“ Denn der Aufruf an die Bevölkerung, Kleidung zu sammeln, wurde zwar gehört, aber wer hatte nach den Kriegswirren schon etwas übrig? Weil auch kein Geld da war, mussten andere Lösungen gefunden werden. An der Ecke Brandenburger Straße/Jägerstraße richtete Willi Frohwein eine Tauschzentrale mit ein. Es folgen Nähstuben und Werkstätten, in denen Holzpantinen angefertigt wurden. Die Arbeit für Kinder bestimmte viele Jahre das Wesen der Volkssolidarität. 1952 wurde Frohwein Erster Vorsitzender in Potsdam-Stadt. Er erinnert sich, wie schwierig es war, Kindergärten zu betreiben, so wie es damals in der Geschwister-Scholl-Straße gelungen war. „Die Partei unterstützte uns nicht, die Kinder von der Straße zu holen.“ Im Gegenteil: „Die Bürokratie“, ärgert sich Frohwein noch heute, „machte es schwer, geeignete Räume zu finden.“ Doch Willi Frohwein schaffte fast immer, was er wollte: „Ich versuchte, gerecht zu sein, hatte aber als Kriminalist auch meine Prinzipien, wurde rigoros, wenn Leute andere Leute ausnutzten.“ Ein wenig forsch kommen diese Sätze daher. Aber erzählt er über seine tägliche Arbeit, wird seine Stimme weich. Frohwein bedauert die zunehmende Einsamkeit älterer Menschen: „Das Gefühl von Zusammengehörigkeit vermisse ich heute schon. Wer will noch ohne Geld arbeiten?“ Sicher kommt einem heute eine organisierte Aktivität aus den 50er und 60er Jahren wie die „Aktion Sonnenblume“ der jungen Pioniere befremdlich vor. Aber die Kinder halfen ganz einfach beim Kohlen holen oder beim Einkaufen. Oder man schmunzelt über ein Autocorso in den Neubaugebieten. „Aber der Gedanke, dass Autobesitzer ältere Leute einfach mal mit ins Grüne nahmen, war doch wunderbar“, steht Willi Frohwein zu diesen Ideen. Junge helfen Alten ist jedenfalls kein altmodisches Thema geworden. Aber ein Problem in der heutigen Arbeit der Volkssolidarität, denn für die ehrenamtliche Hilfe bei Einkäufen, Arztbesuchen oder bei der Organisation einer Weihnachtsfeier haben jüngere Menschen oft kein Interesse mehr. „Die menschliche Wärme setzt sich nicht fort“, sagt Willi Frohwein nachdenklich. Eine Perspektive für die Volkssolidarität sieht er dennoch. Allerdings wünscht sich der Rentner, dass mehr um Begegnungsstätten gekämpft würde. Er denke da besonders an den Schlaatz und die Waldstadt. Die Meinung vieler, dass die Jugend nicht mitziehe, will Willi Frohwein nicht akzeptieren. Er, der in zahlreichen Schulen über seine Vergangenheit spricht, ist optimistisch. Die jungen Menschen seien interessiert, stellten Fragen, hörten zu. Eines sollte man aber nicht tun, rät Willi Frohwein. Ihnen immer wieder mit vorwurfsvollem Blick zu verstehen geben, wie gut sie es doch heute hätten. „Stimmt nicht“, sagt er. „Zu mir kommen junge Leute und erzählen ihre Sorgen. Diese sind anders als unsere früher, aber nicht kleiner.“ Die Hoffnung, das Jung und Alt sich verstehen und helfen, die gibt er nicht auf. B. Einbrodt/J. Träger
B. Einbrodt, J. Träger
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