Landeshauptstadt: Schweiß und Bier in Strömen
Mehr als zehntausend Gäste bei Babelsberger Livenacht / Tolles Radrennen „Rund um Babelsberg“
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Babelsberg – Über zehntausend überwiegend junge Menschen besuchten am Sonnabend die Babelsberger Livenacht. Organisiert von der Wirtegemeinschaft um Holger Pufahl, bot das Ereignis neben Sport am Nachmittag bis in die Morgenstunden andauernde Live- und Disco-Konzerte. Für die Gastronomen und Keeper an den zahlreichen Bier- und Imbissständen war es eine 14-stündige physische Herausforderung: Schweiß und Bier flossen in Strömen.
Die „Live-Nacht“ beginnt am helllichten Tag. Spektakulärer Höhepunkt war das Radrennen „Rund um Babelsberg“, organisiert vom OSC Potsdam. Erstmals fand es im Rahmen der Livenacht statt. Bei der Siegerehrung des Jedermann-Rennens über 30 Runden konnte Schirmherr Rainer Speer sogar einen Potsdamer auf dem Treppchen beglückwünschen: Sebastian Paddak belegte den dritten Platz. „Richtig anstrengend“ fand der Ex-Profi das Rennen, an dem er schon einmal 2006 teilgenommen hatte. Eine Riesenüberraschung gab es beim anschließenden Profi-Parcours über 50 Runden, immerhin 60 Kilometer. Hier hatte Fabian Pohl vom Stadler-Team aus Berlin schnell die Nase von. In der 23. Runde hatte er bereits einen Vorsprung von einer Minute und zwanzig Sekunden, holte bald das Fahrerfeld ein und konnte darin „gemütlich“ bis zum Schluss mitfahren. „Ich wusste, dass es ein sehr schweres Rennen hier ist und habe entsprechend hart trainiert“, erklärt „Fabi“ seinen überlegenen Sieg.
Bereits während des Radrennens griffen die Musiker von „Six Pack“ zu ihren Instrumenten und boten Live-Rock und -Soul aus dem offenen Schaufenster des Restaurants „unicat“. Die aus Lübbenau angereisten Musiker sangen ausschließlich englischsprachige Texte, ebenso wie die unermüdlichen „Strange Brew“ vor dem Fleischerfachgeschäft Meissner in der Karl-Liebknecht-Straße. „Verstehen Sie textlich, was die singen?“ Antwort einer jungen Frau, die sich ekstatisch im Rhythmus bewegt: „Ich verstehe es nur teilweise, aber das macht nichts; ich kenne die Texte.“
Den Weberplatz hatten am Nachmittag vor allem Familien mit Kindern erobert. Vom Stiefelweitwurf bis zur Schienenbahn mit Feuerwehr und Abschleppfahrzeug reichten die Vergnügungen. 1,50 Euro kostet ein „Fahrchip“ auf der Schiene, im Viererpack „nur“ vier Euro. Von der Bühne tönt dabei überwiegend Konserven-Musik: „Es steht ein Haus in New Orleans““.
Nachdem die Kinder ins Bett gebracht waren, füllte sich das Babelsberger Zentrum zwischen Karl-Liebknecht und Rudolf-Breitscheid-Straße rasch mit Publikum. Der Bühnenaufbau am Rathaus war zum Dunkelwerden fertig und die Cover-Band lockte die dicht gedrängte Menschenmasse aus der Reserve. Selbst die Nach-Wende-Geborenen wollen „Alt wie ein Baum“ werden oder „König von Deutschland“ sein oder waren gar „Tausendmal berührt...“
Kaum ein Musiker kann über vier Stunden hintereinander spielen, selbst so starke wie die in der Excelsis Rock-Band auf der Bühne zwischen Bahndamm und „Neuem China House“ nicht. So entstanden überall lange Pausen, überbrückt durch Konservenhits. Auch das Repertoire schien für die vielen Stunden manchmal nicht auszureichen: Auf der Weberplatz-Bühne blättert der Schlagzeuger suchend in den Noten, dann fällt der Strom aus und eine halbe Stunde später tönt es immer noch vom MP3-Chip.
Die Polizei ist in khakifarbenen und schwarzen Einsatzanzügen und zivil präsent. An vier Stellen stehen die BBL-Fahrzeuge in Bereitschaft und auch ein paar P-Streifenwagen. Als es in der Schornsteinfegergasse eine Schlägerei gibt, sind flugs vier Beamte zur Stelle. Hünenhaft aussehende „Ordner“ haben sich auf der Rathaus-Kreuzung postiert und am Rande sind ganz neu uniformierte Sicherheitsleute zu sehen. „Mehr Service für Potsdam“, verheißt der Schriftzug auf der dunkelblauen Uniformjacke mit dem Signet des Verkehrsbetriebes (ViP). „Wir fahren mit den Bahnen mit, um die Aggressionsschwelle der Jugendlichen niedrig zu halten“, erklärt ein über 1,90 Meter großer ViP-Sicherheitsmann. Seit voriger Woche gebe es diesen „Service“ in Potsdam, erklärt er.
Läden und Kneipen sind voll, kein Durchkommen zum Sommergarten von „unicat“, kein leerer Platz vor dem Aquarium im Keller von „La Palma“, Verstopfung gegen Mitternacht am „Thalia“ und bei „Happy Hour“ – Vordringen zur Band nur bei Gefahr des Biervergießens, Anstehen beim „Döner Sanssouci“, Späteinkauf im „Late Shop“ gegenüber der Post.
Die Kehrseite: Überall Scherben und Abfall trotz bereit gestellter Container, Erleichterung vom Biertrinken an allen dunklen Ecken trotz mobiler Toiletten. Im Theodor-Hoppe-Weg „feiern“ einige Bewohner an einer großen Tafel ihre eigene immer kühler werdende Live-Nacht im Freien: Sie halten Nachtwache vor ihren schönen neuen Häusern. Auf der Straße gerät die Live-Nacht um ein Uhr immer mehr aus den Fugen; die Luft ist vom Biergeruch geschwängert wie auf dem Münchener Oktoberfest.
Günter Schenke
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