Aus dem GERICHTSSAAL: Schwer gestörte Persönlichkeit
Mord an Potsdamerin: Ist der 20-jährige Täter vermindert schuldfähig?
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Aus dem GERICHTSSAALMord an Potsdamerin: Ist der 20-jährige Täter vermindert schuldfähig? Raphael F. (20) wirkt mit seinen langen schwarzen Locken und der zierlichen Gestalt weich und mädchenhaft. Dass er in den grausamen Mord an der Rentnerin Helga B. vom Alten Markt verstrickt sein soll (PNN berichteten), scheint auf den ersten Blick kaum vorstellbar. Am gestrigen dritten Prozesstag äußerte sich eine psychiatrische Gutachterin zur Entwicklung sowie Schuldfähigkeit des in Sri Lanka Geborenen, der im Alter von zehn Monaten von einem Schweizer Ehepaar adoptiert wurde, sich bald zu einem schwierigen Kind entwickelte. Raphael F. schätzte am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht ein, er habe selten das Gefühl gehabt, von den Adoptiveltern ebenso geliebt zu werden wie deren leibliche Tochter. Er berichtete von körperlichen Misshandlungen durch den Adoptivvater, führte diese allerdings auf eigenes Fehlverhalten zurück. Die Gutachterin sprach von Verhaltensauffälligkeiten im Kleinkindalter sowie späteren schulischen Problemen des Angeklagten. Mit 13 Jahren kam Raphael F. in ein Kinderheim. Insgeheim durchlief er fünf solcher Einrichtungen in der Jugendzeit, aus denen er immer wieder floh, straffällig wurde, Untersuchungshaft und Arbeitserziehungsanstalten kennen lernte. Psychologen wurden eingeschaltet, diagnostizierten dem homosexuell Geprägten eine Störung seines Sozialverhaltens. Raphael F., dessen Intelligenz im unteren Normbereich liege, sei aus medizinischer Sicht ein erheblich persönlichkeitsgestörter junger Mann, was dem juristischen Begriff der schweren seelischen Abartigkeit entspräche, so die Expertin. Er habe sich während ihrer Untersuchung als misstrauisch und selbstmordgefährdet präsentiert, allerdings auch dazu tendiert, andere zu beschuldigen. „Die Fähigkeit, sein Handeln vorausschauend zu planen, ist eingeschränkt.“ Mit Beginn der Pubertät habe der Angeklagte begonnen, Alkohol und Drogen zu konsumieren. Auch während der Tat am 2. März 2004 habe er laut eigenem Bekunden unter „Stoff“ gestanden, darüber hinaus Medikamente genommen. Nach den von ihm angegebenen Trinkmengen habe sie maximal 1,5 Promille errechnet. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass die Kombination von Alkohol und Cannabis die ohnehin vorhandene Störung der Impulskontrolle verstärkt habe. „Man kann davon ausgehen, dass die Steuerungsfähigkeit von Raphael F. in Phasen der Tat eingeschränkt war“, betonte die Gutachterin. Für den 14. Dezember kündigte der zweite Angeklagte Detlef W. (48) ein umfassendes Geständnis in Anwesenheit des psychologischen Sachverständigen Dr. Böhle an. Dessen Gutachten umfasst laut Staatsanwaltschaft 97 Seiten. Das Urteil ergeht voraussichtlich am 17. Dezember. Gabriele Hohenstein
Gabriele Hohenstein
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