Landeshauptstadt: Schwindendes Interesse
1. Mai: Nur halb so viele Potsdamer bei Polit-Fest wie im Vorjahr / Mehr Besucher bei Rock gegen Rechts
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Innenstadt – Spätestens kurz nach zehn waren alle wach. Angeführt vom lautstarken Spielmannszug Neuseddin zogen gestern Vormittag rund 600 Mai-Demonstranten durch die Charlottenstraße. Auf ihrem Weg vom Platz der Einheit zum Luisenplatz sorgte ein Transporter der linken Jugendorganisation solid mit donnernder Rockmusik für weitere Dezibel.
Am Ziel angekommen verstummte die Musik zunächst – der programmatischen Reden zum „Tag der Arbeit“ wegen. Dieser stand dieses Jahr bundesweit unter dem Motto „Du hast mehr verdient“. Eingeladen hatten zu dem Potsdamer Volks- und Politikfest die Gewerkschaften sowie die drei Parteien SPD, PDS.Linkspartei und Bündnis90/Die Grünen. „Wir laden die Politik nicht aus wie anderswo“, betonte Detlef Baer, Regionalvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), in seiner Begrüßungsrede.
In seiner Ansprache schloss er sich den Forderungen seiner Gewerkschaft an und verlangte die Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse. Er sprach sich außerdem für einen gesetzlichen Mindestlohn aus, um gegen „neue Formen“ von Lohndumping vorzugehen. Auch in Potsdam sei die Beschäftigungs-Situation alarmierend: Nur 65 Prozent aller Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern hätten normale Arbeitsverhältnisse. Momentan sinkende Arbeitslosenzahlen seien zum Großteil auf Leiharbeitsverträge sowie prekäre und befristete Arbeitsverhältnisse zurückzuführen: „Brandenburgs Zukunft liegt nicht im Niedriglohnsektor.“ Auch andere Gewerkschafter kritisierten den Zustand des Landes: So nannte es Daniel Traprogge von der Gewerkschaftsjugend einen „Skandal“, dass es nicht genügend Ausbildungsplätze für Jugendliche gebe. Traprogge, der an der Universität Potsdam Verwaltungswissenschaften studiert, warf zudem der Landesregierung vor, auf mögliche Einnahmen aus Studiengebühren „zu schielen“.
Allerdings waren solche Anliegen gestern nicht die einzige Sorge Baers: Denn mit „1000 bis 1200“ Teilnehmern kamen „deutlich weniger als beim letzten Mal“ , bilanzierte er. Im vergangenen Jahr waren es noch 2000 Besucher. Das sinkende Interesse registrierte auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) bei seinem Rundgang am Vormittag. Gewerkschaftler Baer erklärte sich den fehlenden Zuspruch mit dem Wetter: Bei so „herrlichem Wetter“ würden die Leute lieber zum Baumblütenfest nach Werder fahren, so seine Vermutung.
Offenbar ist das Problem nicht auf den 1. Mai beschränkt: Die Gewerkschaften in der Region Mark Brandenburg hätten seit 1990 kontinuierlich Mitglieder verloren, so Baer: Von anfänglich 140 000 Gewerkschaftern seien heute noch 70 000 übrig. In den vergangenen zwei Jahren sei die Mitgliederzahl jedoch stabil geblieben. An „Politikverdrossenheit“ glaubt Baer indes nicht. Das habe der Vorabend des 1. Mai in Potsdam gezeigt.
Etwa 3000 Menschen – etwa 500 mehr als im vergangenen Jahr – waren nach Baers Schätzung über den Montagabend verteilt auf den Luisenplatz gekommen. Dort feierten überwiegend junge Potsdamer das siebente „Rhythm against Racism“-Festival mit Rock-Bands wie den Potsdamern von Maggies Farm oder den Berliner Nachwuchsstars 5Bugs. Oberbürgermeister Jann Jakobs rief in seiner umjubelten Grußbotschaft dazu auf, offensiv gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Alltagsrassismus aufzutreten. „Blöde Witze über Ausländer dürfen in der Öffentlichkeit keinen Platz haben“, sagte das Stadtoberhaupt. Mit dem von der DGB-Jugend organisierten Open Air zeige die Stadt, dass „Potsdam nichts mit rechtsextremen Ansichten zu tun haben will.“
Beide Veranstaltungen liefen laut der Polizei friedlich ab. Lediglich nach dem Ende der Live-Nacht sei es zu einem Zwischenfall gekommen: Im abströmenden Besucherverkehr habe ein polizeilich bereits bekannter 19-Jähriger ein Einsatzfahrzeug angegriffen, sei jedoch „sofort“ festgenommen worden. Bei den Krawallen in Berlin hätten sich keine Potsdamer unter den Festgenommenen befunden, so ein Sprecher des Polizei-Lagedienstes gestern Abend gegenüber den PNN.
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