
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Sehen und gesehen werden
Mit Licht am Fahrrad durch die Stadt: Potsdam will Lampenmuffel mit einem Gutschein zur Reparatur ihrer Drahtesel bewegen
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Innenstadt - Mit dieser Kontrolle hat Helga Winter nicht gerechnet. Unruhig tippelt die 80-jährige Potsdamerin um ihr Damenrad herum. Eine volle Einkaufstasche hat sie auf ihren Gepäckträger geladen, frischer Schnittlauch hängt in einer Tüte am Lenker. „Das Licht ist gestern erst kaputt gegangen“, sagt Winter. „Mein Mann wollte es reparieren“, sagt sie entschuldigend. Hat er aber nicht – deshalb nickt Jürgen Pilz einmal streng. Mit einer Testlampe macht sich der Fachmann vom Potsdamer Fahrradclub ADFC am Rücklicht der alten Dame zu schaffen. Die Ersatz-Birne glimmt auf. „Strom kommt an“, sagt Pilz. Es muss die Elektronik sein. Da hilft keine Reparatur.
Unter dem Motto „Sehen und gesehen werden“ hat die Stadtverwaltung am Dienstagabend erstmals zur Aktion „Fahrradlicht“ aufgerufen. Mit gutem Willen und einem Gutschein sollten Lichtmuffel zur Reparatur ihres Fahrrads bewegt werden. Bei acht verschiedenen Radhändlern in Potsdam erhalten sie zehn Prozent Rabatt auf ein neues Licht. Auch vorbildliche Radfahrer wurden bei der Kontrolle vor dem Hotel Mercure belohnt. Sie erhielten ein Reflektorband, das sich um den Knöchel kringelt. Der Fahrradclub ADFC, der Verkehrsclub VCD und Potsdams Baubeigeordneter Matthias Klipp (Bündnisgrüne) begleiteten die Aktion.
„Viele Radfahrer wissen gar nicht, was an Beleuchtung vorgeschrieben ist“, sagt Ulf Hildebrand vom ADFC in Potsdam. Ein weißes Licht nach vorn und ein rotes nach hinten, das ist klar – reicht aber bei Weitem nicht aus, sagt Hildebrand. Auch ein weißer Reflektor vorn und gleich zwei rote Reflektoren hinten – einer großflächig, einer klein – seien Pflicht. Dazu kommen orangefarbene „Katzenaugen“ in den Speichen. Alternativ reichen auch Reifen mit aufgedrucktem Silberrand oder weiße Speichenreflektoren. „Dann aber an jeder Speiche.“ Auch die Pedale müssen reflektieren und zwar gelb. Wer all das nicht erfüllt, riskiert eine Strafe. „20 Euro werden da bestimmt schnell fällig“, sagt Hildebrand. Dabei gibt es ein neues Licht, zum Beispiel kleine batteriebetriebene Ansteckstrahler, beim Händler ab 14 Euro. „Wer das dabei hat, den wird kein Gesetzeshüter zur Brust nehmen“, sagt Hildebrand. Er selbst fährt damit jeden Tag Rad.
Bei den Potsdamern kam die Aktion gut an. Artig holt eine 24-jährige Blondine ihr Anstecklicht aus ihrem Rucksack, als Hildebrand sie danach fragt. Alles in Ordnung, sagt der Rentner. Anstecklichter müssen immer mitgeführt werden, auch wenn es noch so hell ist, erklärt er ihr. Trotzdem bekommt die junge Frau eine Ermahnung: Einer der Front-Reflektoren fehlt an ihrem roten Mountainbike.
„Wir wollen niemanden mit der Aktion bestrafen“, sagt Ulrike Kucharzyk. 1000 Reflektorbänder hat die Mitarbeiterin der Stadt zum Alten Markt gebracht. Eins nach dem anderen verteilt sie an die vorbildlichen Potsdamer. Schnell war die erste Kiste leer. „Trotzdem ist es erschreckend zu sehen, wie viele ohne Licht fahren“, sagt Kucharzyk. So verschwinden auch die Gutscheine ziemlich schnell.
Helga Winter hat ihren sofort im dicken Mantel verstaut. Einer der acht Händler ist gleich bei ihr um die Ecke. „Da muss mein Mann dann morgen hin“, sagt Winter, steigt auf ihr Rad und fährt davon. Tobias Reichelt
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