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Landeshauptstadt: Selbst die Straßen schmelzen

Wetterdienst: Juli bisher wärmer als im Rekordsommer 2003 / Ende der Waldbrandgefahr nicht absehbar / Leichte Verformungen bei Schienen / Beginnendes Algenwachstum in Potsdams Gewässern

Stand:

Hitze total: 36 Grad Celsius erreichten die Thermometer gestern in Potsdam – am bisher wärmsten Tag des Jahres. Momentan ist es sogar wärmer als im Juli des Rekordsommers 2003. Laut den Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) lag die durchschnittliche Temperatur damals in Potsdam bei 20,2 Grad, in diesem Monat sind es schon 22,7 Grad. „Diese Zahl liegt knapp fünf Grad über den Durchschnittswerten, die sonst im Juli erreicht werden“, sagte gestern ein DWD-Sprecher. Zudem habe es in Potsdam bislang 239 Stunden Sonnenschein im Juli gegeben, normal seien für den gesamten Monat 232.

Auch das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hält eine Wiederholung des Jahrhundertsommers für möglich: Die Entwicklung dieses Sommers ähnele der von 2003. Dies gelte umso mehr, da sich noch keine Änderung des Wetters abzeichne. Gleichzeitig stiegen gestern in Potsdam die Ozonwerte: Im Zentrum pendelten sie am Nachmittag zwischen 185 und 191 Mikrogramm je Kubikmeter. Ab einer Konzentration von 180 Mikrogramm je Kubikmeter sollten Personen körperliche Anstrengungen im Freien vermeiden.

Doch trotzdem erlebten die Ärzte und das Pflegepersonal im Klinikum Ernst von Bergmann einen „ganz normalen Krankenhaustag“, sagte Sprecherin Antje Flemming. Selbst die geplanten Operationen wurden wegen der Hitze nicht verschoben, denn der ganze OP-Trakt samt Aufwachräumen ist klimatisiert – genauso wie die Intensivstationen. Zwar hätten sich in der Notaufnahme zwölf Potsdamer mit Kreislaufbeschwerden gemeldet, doch seien das nicht mehr als sonst, betonte Flemming. Ähnlich sah es im St. Josefs-Krankenhaus aus: „Wider Erwarten“ seien nur „drei bis fünf Fälle“ eingeliefert worden, deren Beschwerden auf die Hitze zurückzuführen waren. Offenbar hätten sich die Potsdamer vorsichtig verhalten: viel Wasser getrunken und auf große körperliche Arbeit und Sport verzichtet.

Größere Sorgen macht sich Norbert Praetzel, kommissarischer Fachbereichsleiter für Grün- und Verkehrsflächen bei der Stadt. Auf den Asphaltstraßen mit Schwarzdecke würden zum Teil 70 Grad gemessen. Durch den Verkehr würden so Belastungen entstehen, die das Bindemittel in der Straße als „weiche, fast flüssige Masse“ nach oben dringen lasse: Dagegen wird Kies gestreut. Dennoch befüchtet Praetzel, dass sich auf den „ausgemergelten“ Straßen in der Folge große Schlaglöcher bilden. Probleme gebe es auch auf Betonfahrbahnen und -gehwegen: Die Fugen dazwischen könnten den Druck durch die Hitze nicht mehr ausgleichen, Platten würden verschoben und brechen.

Auch bei den Verkehrsbetrieben sind erste Folgen der Hitze spürbar: Die Schienen beginnen sich zu verbiegen. Es gäbe bereits „kleine Gleislagefehler“, sagte gestern Stefan Klotz, Sprecher der Stadtwerke. Dies würde aber nur zu geringen Einschränkungen im Tramverkehr führen. „Die Bahnen müssen an diesen Stellen langsamer fahren.“ Die Gleisstücke würden nun bei den „routinemäßigen“ Inspektionen weiter überwacht, betonte Klotz. Ob sich die Lage zuspitzen könne, hänge von der Dauer der Hitzeperiode ab.

Doch selbst ein plötzliches Ende der Hitze mit Regen könnte Hubertus Krüger nicht helfen. Zehn Eimer Wasser, also 100 Liter, seien pro Quadratmeter Potsdamer Wald zurzeit nötig, um die Waldbrandgefahr zumindest ein wenig zu senken, so der Leiter der städtischen Oberförsterei. Wie fast überall in Brandenburg gilt in Potsdam die höchste Waldbrandwarnstufe. „Wir rufen die Menschen auf, sich bei Brandverdacht sofort an die Feuerwehr zu wenden“, sagte Krüger.

Nicht so dramatisch ist die Lage in Potsdams Gewässern. „Es gibt noch kein Fischsterben“, sagte gestern Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamts. Wegen des langen Winters hätte das Wachstum der Algen in den Flüssen und Seen erst später begonnen. Doch nun fange es langsam an, im Warmen wachsen die Algen besonders schnell. Gibt es zu viele von ihnen, sinkt der Sauerstoffanteil im Wasser – die Fische ersticken.

Doch noch ist es nicht so weit. Auch die Badequalität im Strandbad Babelsberg und im Templiner Waldbad sei noch sehr gut – obwohl im Waldbad wegen seiner Buchtlage langsam vermehrt Algen auftreten würden, so Stefan Klotz, Sprecher der Stadtwerke, die auch die beiden Freibäder betreiben. „Die Leute gehen noch gern bei uns baden“, sagte Klotz. 1000 Gäste sollen es gestern in Babelsberg gewesen sein, 1300 in Templin.

Baden durften auch die Bewohner des Tierheims Am Wildpark. Die Vierbeiner bekamen gestern nicht nur „viel frisches Wasser“ zum Trinken, sondern auch zum Planschen, sagte Mitarbeiterin Ellen Thrum: Die Kollegen hatten den Hunden in ihrem Auslauf „Badewannen“ aufgestellt. Als Ausgleich dafür, dass sie nur „wenige Minuten Gassi“ gehen durften, damit sie ihren Kreislauf nicht belasten. Baden war gestern auch die Hauptbeschäftigung der rund 300 Enten und Gänse der Potsdamer Landwirte. Seine Vögel hätten extra einen Teich bekommen, so Ernst Ruden aus Krampnitz. Seine Hühner lägen allerdings die meiste Zeit „malad im Schatten“, statt ans Eierlegen zu denken. Normalerweise schenke ihm jede Henne alle zwei Tage ein Ei, nun könne er nur noch 80 Prozent der sonstigen Eiermenge einsammeln, so Ruden. Das Problem: Bei der Hitze sind die Hühner zu träge zum Fressen. Fehlt aber das Futter, entwickelt sich ihr „Bruttrieb“ und sie beginnen „auf ihren Nestern zu glucken“.

Obstbauer Gerhard Neumann vom Bornimer Erntegarten sorgt sich dagegen um seine Früchte. Durch die lange Sonnenperiode seien Erdbeeren, Johannisbeeren und Kirschen zu schnell gereift. Eigentlich müsste er die Pflanzen an solch heißen Tagen wie gestern beregnen, damit sie „keinen Sonnenbrand“ bekommen. Doch dafür fehle ihm die teure Technik. Also hat Neumann die Preise für sein Obst runtergesetzt. Wer zehn Kilogramm Kirschen für sich pflückt, zahle ab heute nur noch 1,50 Euro pro Kilogramm. So preiswert seien die Früchte seit der Wende nicht mehr gewesen.

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