Links und rechts der Langen Brücke: Sensationell
Michael Erbach freut sich über das große Interesse der Potsdamer an der Bürgerbefragung zum Landtag – plädiert aber gegen eine Befragungsdemokratie
Stand:
Über 50 000 Potsdamer könnten es am Ende sein, die sich an der Bürgerbefragung zum Standort des neuen Landtags beteiligt haben. Das ist sensationell. Weit mehr als 40 Prozent Beteiligung bei einer Briefwahl – damit hat keiner gerechnet. Zumal die Umfrage in ihrer Fragestellung fragwürdig ist. Auslöser für die Bürgerbefragung waren zwei gescheiterte Abstimmungen im Stadtparlament über die Auslegung des Bebaungsplans für den neuen Landtag. Dabei war der Standort nie infrage gestellt worden – Beschlusslage ist, dass der Standort des Stadtschlosses auch Standort des Landtages werden soll. Vielmehr stand die Art und Weise des Bauens in der Kritik. Dem Bauherrn sollte es nämlich ermöglicht werden, von der Gestalt des Stadtschlosses abzuweichen. Doch danach wurde in der Umfrage der Stadtverordneten überhaupt nicht gefragt . Dennoch gab es eine solch überwältigende Resonanz. Das zeigt, wie groß das Interesse der Potsdamer an der Entwicklung ihrer Stadt ist. Heißt dies aber auch, dass Bürgerbefragungen zum alltäglichen Instrument von Kommunalpolitik werden sollten? Nein. Der Souverän politischen Handelns muss weiterhin das Stadtparlament bleiben – wichtigste Bürgerbefragung soll die Kommunalwahl bleiben. Nur in ausweglosen Situationen oder bei einem politischen Patt wie in diesem Fall sollte die Bürgerbefragung eingesetzt werden. Zu sehr nämlich könnten solche Befragungen von Stimmungen beeinflusst werden. Zudem hat gerade diese erste Bürgerbefragung gezeigt, dass die Fragestellung nicht immer den Kern der Problematik treffen muss – sondern von den Fragestellern auch dafür benutzt werden kann, ein für sie günstiges Ergebnis vorzuprogrammieren. Das Störfeuer der Landtagsschloss-Totalverweigerer von der Fraktion Die Andere muss also nicht verwundern, wenngleich die Vorgehensweise, eine Auswertung der Fragebögen zu fordern und bei Nichtbeachtung mit dem Anwalt zu drohen, lächerlich anmaßend ist. Da ist der Verein Argus schon professioneller. Saskia Hüneke und ihre Mitstreiter sind für einen Landtag auf dem Stadtschlossgelände, wollen aber, dass der Wiederaufbau originalgetreu erfolgt. Gestern kündigte Argus an, nach der Auswertung der Befragung der Stadtverwaltung eine eigene repräsentative Telefonumfrage starten zu wollen. Dabei sollen die Bürger befragt werden, ob die Fassade historisch, mit historischen Elementen versehen oder modern gestaltet werden soll. Die Verwaltung wird sich jedoch beim weiteren Vorgehen allein auf ihre Umfrage stützen. Da die bislang Schloss-feindliche PDS angekündigt hat, sich dem Votum zu beugen, deutet alles darauf hin, dass der Landtag auf dem Stadtschlossgelände gebaut wird – unter Bedingungen, für die es zuvor zweimal keine Mehrheit gab. Das Wichtigste jedoch wird, wenn auch auf zweifelhaften Umwegen, wohl erreicht: ein Landtag auf dem Alten Markt. Endlich. Und beinahe sensationell.
Michael Erbach
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