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Von Günter Schenke: Sich lösen vom Alkoholiker Zehn Jahre Al-Anon-Meetings in Potsdam

Kirchsteigfeld - Die Versammelten am Tisch nennen nur ihre Vornamen, ihre Identität ist unbekannt, Vertraulichkeit über Inhalte und Teilnehmer bleiben nach außen gewahrt. Das klingt nach Geheimbund oder Sekte.

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Kirchsteigfeld - Die Versammelten am Tisch nennen nur ihre Vornamen, ihre Identität ist unbekannt, Vertraulichkeit über Inhalte und Teilnehmer bleiben nach außen gewahrt. Das klingt nach Geheimbund oder Sekte. Doch die 14 Frauen und ein Mann, die sich Samstagnachmittag im Gemeindezentrum im Kirchsteigfeld zum Meeting zusammenfanden, sehen sich weit entfernt von dieser Einordnung. Es sind Angehörige und Freunde von Alkoholikern. Unter dem Dach der „Al-Anon-Familiengruppen“ gibt es diese Zusammenkünfte dem Vernehmen nach nunmehr zehn Jahre in Potsdam.

Das Meeting beginnt mit einer Lesung des „Zwölf-Schritte-Programms“. Ein Zettel macht die Runde und jeder Teilnehmer liest einen Passus. Ein wichtiger Schritt ist offenbar die Einsicht, gegen den Alkoholismus seines Angehörigen machtlos zu sein und in die Gefahr zu geraten, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Du musst dich von deinem Partner lösen, heißt es später.

Es folgen Wortmeldungen der Teilnehmer. „Ich war besessen davon, meinem Mann die Flasche abzugewöhnen“, berichtet Sabrina. Mit ihren zwei Kindern habe sie jeden Tag gewartet, „wie der Vater nach Hause kommt, zerschunden oder mit der Polizei ...“ Erika hat 45 Jahre mit dem Alkoholismus in ihrer Umgebung gelebt: Der Vater war Alkoholiker, die Mutter nahm sich das Leben. Ihre Ehe zerbrach: Fünfzehn Jahre lang habe sie versucht, ihren Mann vom Alkohol wegzukriegen, bis mit Hilfe von Al-Anon die Erkenntnis reifte: „Kümmere dich mal um dich selbst“. Alkoholismus sei eine Familienkrankheit, ist auf dem Meeting öfter zu hören. Doch die Familie verdränge diese Diagnose: „Ich habe einen Alkoholiker geheiratet und es fünfzehn Jahre nicht gemerkt“. Seine alkoholkranke Frau habe ein Spiel mit ihm getrieben, sagt der einzige Mann in der Runde. „Du darfst das Spiel nicht mitmachen“. Seine Erfahrung: Je mehr Einfluss er auszuüben versuchte, desto mehr trank sie. „Du kannst niemanden manipulieren“, laute das bittere Fazit. Diese und andere Erlebnisberichte sind Geschichten über Gewalt und Exzesse, über Lügen und Vertuschen, Geschichten von zerstörten Beziehungen und Familien. „Ich würde auch nicht mit einem trockenen Alkoholiker zusammenleben wollen, weil ich denken würde, dort in der Ecke sitzt ein Brandsatz“, sagt Monika.

Nach einer Pause, in der die Sammelbüchse die Runde macht, gibt es noch weitere Wortmeldungen und nach zwei Stunden stehen alle auf, fassen sich bei den Händen und sprechen auswendig den „Gelassenheitsspruch“. Dessen Kern: Es hat keinen Sinn, helfen zu wollen, wenn eine stärkere Macht dies verhindert.

Während die Al-Anon-Selbsthilfegruppe in einem Raum des Gemeindezentrums offen tagt, treffen sich nebenan die AA, die Anonymen Alkoholiker, zum geschlossenen Meeting. Sie gehören wie die Al-Anon zu den weltweit verbreiteten Zwölf- Schritte-Gemeinschaften. In Berlin und im Land Brandenburg gibt es an die dreißig Al-Anon-Gruppen.

Die Potsdamer Al-Anon-Familiengruppe trifft sich jeden zweiten bis letzten Samstag im Monat jeweils um 16.30 Uhr, im Gemeindezentrum Kirchsteigfeld, Anni-von Gottberg-Straße 14.

Günter Schenke

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