Landeshauptstadt: Sie nennt sie „Mama“
In Potsdam leben 66 Kinder in Pflegefamilien – auch Sara und Elisabeth, die gestern mit ihren Eltern im Rathaus zu Gast waren
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Sara hat zwei Mamas. In der Schule kokettiert die Elfjährige hin und wieder damit. Zu Hause aber fragt sie manchmal, warum das so ist, warum sie nicht einfach bei ihrer ersten Mama wohnt. Dann erzählt ihr Anke Euler, dass es gut ist, dass ihre Mama sie weggegeben hat, weil sie nicht für sie sorgen konnte.
66 Kinder leben in Potsdam nicht bei ihren leiblichen Eltern, sondern bei 45 Pflegefamilien, so Jugendamtsleiter Norbert Schweers. Einige bleiben nur vorübergehend bei den Ersatzeltern, andere bis sie erwachsen sind. Als die Eulers Sara vor neun Jahren in ihre Familie geholt haben, war sie gerade erst zwei Jahre alt: „Sie hat im Nu alle Herzen erobert“, erzählt die 37-jährige Pflegemutter. Auch die von den Omas und Opas. Jetzt sind sie eine richtige Familie: Mama, Papa und Bruder und die andere Mama. Denn die besucht ihr Kind nun regelmäßig. Anke Euler ist froh, dass ihre Tochter Kontakt zur leiblichen Mutter hält, aber „das kann auch weh tun“, sagt sie. Denn irgendwie sei diese ja auch Konkurrenz.
Genau darum sei es schwierig, ein Pflegekind aufzunehmen, erklärt Norbert Schweers. Es könne immer passieren, dass die Kinder wieder in ihre leibliche Familien zurückkehren. Darüber müssten sich Pflegeeltern im Klaren sein. Allerdings werde möglichst in den ersten anderthalb Jahren über die Perspektiven entschieden, so Schweers. Entweder kann das Kind wieder an die eigenen Eltern herangeführt werden oder die Übergangseltern nehmen es in Dauerpflegschaft. Das ist bei Sara der Fall und auch bei Elisabeth, die als Vierjährige ihre Mutter verloren hat. Die erste Zeit in der neuen Familie war hart für das kleine Mädchen: „Am Anfang bin ich jedes Mal in Tränen ausgebrochen, wenn ich mir die Fotos von meinen Eltern angesehen habe“, erinnert sich die Zehnjährige. Sie durfte damals entscheiden, ob sie Pflegemutter Marion Galle mit Vornamen anspricht oder mit Mama. Elisabeth nennt sie „Mama“. Ein Jahr haben die 39-Jährige und ihr Mann überlegt, ob sie sich dem Jugendamt als Pflegeeltern anbieten, denn oft haben die betroffenen Kinder wie Elisabeth bereits „Schlimmes“ erlebt, sagt Marion Galle. In ihrer neuen Familie soll Elisabeth lernen, mit den Erinnerungen leben zu können. Bevor Potsdamer in den „Pflegeeltern-Pool“ der Stadt aufgenommen werden, führen Jugendamtsmitarbeiter bis zu zehn Gespräche mit ihnen, so Schweers. Und so sei es in den vergangenen fünf Jahren nur zwei- bis dreimal vorgekommen, dass Pflegeeltern ein Kind zurückgegeben haben, weil sie sich überfordert fühlten. Unterstützung erhalten die Familien nicht nur beim Jugendamt, sondern auch beim jährlichen Seminar-Wochenende. „Wir können uns austauschen“, sagt Marion Galle. Aber vor allem für die Kinder sei das Projekt vom Jugendamt und der Sozial-Akademie toll, sagt Marion Galle: Wenn Elisabeth mit Sara und den anderen spielt, merkt sie, dass sie nicht das einzige Pflegekind auf der Welt ist. Dafür haben sich ihre und andere Pflegeeltern gestern bei Norbert Schweers und der Sozialbeigeordneten Elona Müller bedankt – mit einem Film über das Wochenende im September 2006 in Zarfzow an der Ostsee.
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