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Landeshauptstadt: Sie wagte den Schritt

Svetlana Avramenko (57), jüdische Migrantin

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Svetlana Avramenko (57), jüdische Migrantin Heimat ist für mich dort, wo die Menschen sind, die ich liebe. Das ist Vilnius in Litauen, wo meine Kinder und Freunde leben. Aber Deutschland ist nicht weit. Ich kann nach Hause reisen. Auch können meine Kinder und Freunde mich besuchen. Potsdam ist ... eine schöne Stadt. Hier habe ich viele nette Menschen getroffen und Bekanntschaften geschlossen, auch zu Frauen und Männern aus den verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Deutschen waren immer gut zu mir, beispielsweise die Frauen im Sozialamt und im Weiterbildungsprojekt „Weila“, in dem ich gearbeitet habe. Sind Sie im August 2001 direkt nach Potsdam gekommen? Nein, zunächst waren wir, meine Mutter, mein Mann und ich, im Aufnahmelager in Peitz, das ist ein Heim für jüdische Migranten und Spätaussiedler. Dort haben wir zwei Wochen gewohnt. War der Neuanfang für Sie schwer? Die Menschen waren sehr freundlich und hilfsbereit. Sie haben das Ankommen leicht gemacht. Ab Oktober 2001 durfte ich einen sechsmonatigen Deutschkurs besuchen. Dann war ich zwei Monate ohne Arbeit. Später gab mir das Sozialamt eine Tätigkeit für dreieinhalb Monate in dem Projekt „Weila“, in dem ich im Anschluss ein Jahr in der Maßnahme „Arbeit statt Sozialhilfe“ meinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Nun sind sie arbeitslos. Wie viele Deutsche. Das ist eine schwierige Situation, ich bin nicht mehr jung. Gern möchte ich arbeiten. Zuhause habe ich manchmal davon geträumt nicht arbeiten zu müssen. Ich war müde. Die Belastung war groß. Meine Kinder konnten studieren. Sie brauchten Unterstützung. Ist das eine neue Erfahrung? Nach dem Zerfall der Sowjetunion gingen viele Betriebe kaputt und unzählige Menschen verloren ihre Arbeit. Damals war ich auch ein halbes Jahr ohne Beschäftigung. Ich hatte Angst nie wieder arbeiten zu dürfen. Das war und ist für mich eine existentielle Angst. Welchen Beruf haben Sie in Litauen ausgeübt? Ich bin Lehrerin für Russische Sprache und Literatur, habe sieben Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Dann nahm ich in einem Betrieb die Tätigkeit als Ökonomin auf. Und ab 1998 habe ich Kinder im Internat und im Kindergarten der jüdischen Gemeinde in Vilnius betreut. Kannten Sie Deutschland bevor Sie hierher gekommen sind? In der Schule lernte ich Deutsch. Auch an der Universität belegte ich Deutschkurse, doch die Professorin ging lieber Teetrinken als uns deutsche Grammatik zu lehren. Während meines Studiums war ich für drei Wochen in Brandenburg an der Havel. Wir haben dort gearbeitet und alle Studenten sind im Anschluss eine Woche lang durch die damalige DDR gereist. Was haben Sie hier gefunden? Der Alltag ist leichter als bei uns. Zwar hatte ich dort Arbeit, dennoch war es schwer mit dem Gehalt auszukommen. Beispielsweise habe ich 150 Euro verdient. Im Winter mussten wir etwa 110 Euro für unsere Wohnung bezahlten. Ich weiß, dass die ökonomische Situation in Deutschland schwierig ist, im Vergleich mit Litauen ist sie viel besser. Wie haben Sie in Vilnius gelebt? Wir hatten eine Wohnung mit drei Zimmern. Dort lebten vier Generationen. Auch wenn ich wenig Platz für mich hatte, vermisse ich das manchmal. Sie haben jüdische Vorfahren. Meine Mutti ist Jüdin. Mein Vater war Pole. Ich hatte deswegen nie Schwierigkeiten. Von meiner Großmutter, sie starb 1972, habe ich etwas über jüdische Religion und Traditionen erfahren. Hier gehe ich in die Jüdische Gemeinde und besuche gern die Musik- und Literatursalons. Seit wann spielten Sie mit dem Gedanken, in einem anderen Land, neu anzufangen? Eine Freundin von mir lebt seit Jahren in Deutschland. Sie sagte immer, dass wir kommen sollen. Ich hatte Angst. Mein Mann aber bestärkte mich, den Schritt zu wagen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir als jüngere Menschen gekommen wären. Mir fällt es nicht leicht die Sprache zu sprechen. Möchten Sie wieder zurückkehren? Ich weiß nicht. Wovon träumen Sie? Gern möchte ich arbeiten. Auch würde ich meine Kinder öfter sehen wollen. das Gespräch führte Ulrike Strube

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