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Landeshauptstadt: Siesta und Hitzezuschlag

Potsdams Unternehmen reagieren auf die Hitzeperiode / ViP zahlt Angestellten ab 35 Grad Extra-Geld

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Wasserspender, Sommerkleidung, Siesta und Hitzezuschlag: Die Potsdamer Unternehmen haben sich auf die seit Wochen anhaltende Hitze eingestellt. So hat nicht nur die Stadtverwaltung die Öffnungszeiten des Bürgerservice und der Fahrerlaubnisbehörde seit gestern eine Stunde vorverlegt. Auch viele Baufirmen beginnen ihre Arbeiten unter freiem Himmel nach Möglichkeit eine bis zwei Stunden früher als gewöhnlich, um der sengenden Nachmittagssonne zu entgehen. Der Arbeitsmedizinische Dienst (AMD) der Baugenossenschaft Potsdam begrüßt dieses Vorgehen, sagte Bärbel Gritt-Hantke, Leitende AMD-Ärztin, gestern den PNN.

Allerdings blieben die vorgezogenen Arbeitszeiten meist „schöne Theorie“, so Gritt-Hantke. Zum einen, weil die Lieferanten für die nötigen Baumaterialien häufig erst ab 6 Uhr öffnen. Vor allem aber, weil viele der Potsdamer Baustellen sich in Wohngebieten befänden. Vor 7 Uhr darf dort kein störender Baulärm erklingen. Diese Erfahrung macht auch Dietmar Kannenberg, Chef des Dachdeckerbetriebs DaBeSa in der Rückertstraße. Auf rund sieben Baustellen arbeiten seine Männer derzeit, darunter auch an den neuen Gebäuden des Klinikums Ernst von Bergmann. Dort konnten Kannenbergs Dachdecker gestern ausnahmsweise schon um 6.30 Uhr beginnen – mit „leisen Vorbereitungsarbeiten“. Um 15 Uhr war dafür Feierabend. Zumal die Arbeit mit den von der Sonne erhitzten Dachblechen „extrem“ sei, so Kannenberg.

Ebenso hart ist die Arbeit von Klaus Buck und seinen drei Mitarbeitern. Die Straßenbauer aus Marquardt müssen bei über 30 Grad Celsius auch noch mit bis zu 170 Grad heißem Asphalt hantieren. Denn schon bei 150 Grad Celsius sei dieser nicht mehr zu verarbeiten. Zwar schützten Arbeitsschutzstiefel vor der allergrößten Hitze von unten, doch vor der Sonne können sich Buck und seine Mitarbeiter meist nicht verstecken. Schatten sei bei einem Arbeitsplatz mitten auf der Fahrbahn eben schwer zu finden. Vor kurzem habe er einen seiner Mitarbeiter nach Hause schicken müssen, weil dessen Kreislauf wegen der Hitze zusammen gebrochen war. Zwar startet der Arbeitstag von Bucks Handwerkern derzeit eine Stunde eher als sonst. Doch früher aufhören könnten sie trotzdem selten, so Buck, der selbst mit anpackt. Bei der Hitze sinke die Leistungsfähigkeit: „Wir schaffen weniger.“ Dennoch müssten sie „bis zum bitteren Ende arbeiten, bis der Asphalt leer ist“, neue Fahrbahn- und Gehwegflächen herstellen. Denn die 80 bis 100 Tonnen Asphaltmischung müssten sie täglich aufbrauchen. Mindestens zehn Stunden benötigen Buck und seine Mitarbeiter dafür. Da sei der 58-Jährige am Ende eines solchen Tages „ziemlich knülle“. Weil die Hitze und die Sonne die unter freiem Himmel arbeitenden Bauleute besonders trifft, hat der AMD die Firmen der Baubranche beraten, wie sie die anstrengende körperliche Arbeit bei solch hohen Temperaturen überstehen: zum Beispiel einmal stündlich eine fünf bis 15-minütige Pause im Schatten einlegen. Doch dafür, dass sich dadurch die Bauarbeiten verzögern könnten, fehle vielen Auftraggebern in der Landeshauptstadt das Verständnis, so AMD-Ärztin Gritt-Hantke. So gebe es auch bei DaBeSa keine längere Mittagspause. Gritt-Hantke befürwortet darum den Aufruf der Gewerkschaft IG Bau, die gestern unter dem Motto: „Lass Dich nicht verbrennen!“ Arbeitgeber dazu aufrief, ihre Angestellten vor extremer Hitze und Sonneneinstrahlung zu schützen. Diese sollten den Kopf bedecken, Sonnenschutzcreme benutzen und „alle 20 Minuten leicht gekühltes Wasser oder besser Tee mit Zitrone“ trinken. Denn gerade in dieser Branche seien die Arbeitnehmer „besonders gefährdet“, an Hautkrebs zu erkranken, einen Hitzschlag zu erleiden oder zu dehydrieren.

Ähnlich geht es Potsdams Feuerwehrleuten. Rund zweimal täglich müssen sie zurzeit kleinere Ödlandbrände löschen, wenn sich etwa irgendwo trockenes Gras entzündet hat. Wegen des schweren Schutzanzugs stände ihnen dabei regelmäßig „das Wasser in den Stiefeln“, so Brandoberamtsrat Dirk Häusler. Deshalb stehe für Mitarbeiter nun zum Trinken „Wasser ohne Ende“ bereit. Eigentlich seien die Halbliterflaschen in den Feuerwehrwagen für 40-minütige Löscheinsätze mit Atemschutzmasken im Feuer gedacht, bei denen jeder Lebensretter bis zu zwei Kilogramm Flüssigkeit ausschwitzt. Nun würden sie wegen der Sommerhitze benötigt.

Leichter bekleiden dürfen sich dagegen die Müllmänner. Laut Stadtwerkesprecher Stefan Klotz könnten die üblichen Latzhosen im Schrank liegen bleiben. Um zu vermeiden, dass die Mitarbeiter der Stadtentsorgung Potsdam (Step) unter einem „Wärmestau“ leiden, dürfen sie orangene Bundhosen und weiße T-Shirts mit Reflektoren tragen, so Klotz. Zusätzlich würden die Stadtwerke ihnen kostenlos Wasser zur Verfügung stellen. Das erhalten auch die Straßenbahn- und Busfahrer des kommunalen Verkehrsbetriebs ViP: An einigen Endhaltestellen hätten die Stadtwerke extra Wasserspender aufgestellt. Auch die Kleidervorschriften wurden gelockert: Die Fahrer dürfen auf die Krawatte verzichten und Frauen sogar Röcke und Bermudas tragen. Zudem erhalten diejenigen, die in den unklimatisierten Fahrerkabinen der alten Tatra-Trams sitzen müssen, ab 35 Grad Celsius einen „Hitzezuschlag“ von 64 Cent pro Stunde.

Unter der Hitze leiden auch die Imbiss-Buden-Betreiber der Stadt: Selbst ohne Sommerwetter sei es dort wegen der Kochstellen und Dönergrills heiß, nun erreiche die Temperatur im „First Kebap“ in der Friedrich-Ebert-Straße teilweise 50 Grad Celsius, sagte Mustafa Demir. Ein Ventilator soll helfen und viel Wasser. Nur Nguyen-Van Son vom „China Thai Snack“ in derselben Straße kommt trotz offener Herdflammen nicht ins Schwitzen. Sie findet die Hitze normal. Aus ihrer Heimat Vietnam sei sie die gewöhnt.

Juliane Wedemeyer

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