Landeshauptstadt: Singen ohne Leistungsdruck
In Potsdam gibt es wie in ganz Deutschland eine „Ten Sing“-Gruppe – doch diese hat Nachwuchssorgen
Stand:
Der Boden vor der Nikolaikirche scheint zu beben. Rockige Bässe und lauter Gitarrensound sind zu hören - direkt aus dem Keller unter der Kirche. Dort trifft sich jeden Montag ab 18 Uhr „Ten Sing“: Eine Gruppe von Jugendlichen, die gemeinsam Musik machen – und die dennoch mehr sein wollen als eine normale Band.
Die Idee zu „Ten Sing“ stammt aus Norwegen. 1967 entstanden, kam sie in den 80er Jahren nach Deutschland. Hier gibt es heute bereits 130 „Ten Sing“-Gruppen. Träger ist der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM), mit 260 000 Mitgliedern der größte christlich-ökumenische Jugendverband in Deutschland. 2003 wurde die Potsdamer „Ten Sing“- Gruppe gegründet. Ihr Chef ist der Theologe Jürgen Ferrary: „Unser Ziel ist eine jährliche, von den Jugendlichen inszenierte Bühnenshow vor der Nikolaikirche.“ Dafür proben die rund 15 Schülerinnen und Schüler jeden Montag.
Unter ihnen ist auch die 16-jährige Lysette Goffrier. Seit 2004 ist sie dabei. Sie singt mit voller Leidenschaft. „Man bekommt ein stärkeres Selbstbewusstsein, gerade weil hier jeder mitmachen kann – und niemand wird schräg angesehen, wenn er nicht singen kann“, sagt sie. Sie selbst erhebt gar nicht den Anspruch auf Perfektion. „Perfekt sein ist doch langweilig, die Gruppe zählt“, so Lysette. Das sei vielleicht auch der Grund, weshalb die Potsdamer „Ten Sing“-Gruppe so großes Ansehen unter allen Gruppen in Deutschland genieße. Der Gruppenzusammenhalt sei nämlich extrem gut, erzählt sie voller Stolz. „Alles was rockt und gefällt wird gesungen“, erzählt dagegen Johannes Rutkowsky, ein 19-jähriger Sänger und Gitarrist bei „Ten Sing“. Aber wie bringt man es nur soweit, in einer Band singen und Gitarre spielen zu können? „Jeder, der Lust hat, kann mitmachen, egal ob begabt oder talentfrei“, sagt Johannes. Sogar seine eigene Begabung für das Singen und die Gitarre stellt er infrage. Aber dennoch ist er mit viel Engagement seit nunmehr vier Jahren dabei. Das Gitarrespielen hat er sich selbst beigebracht, perfekt sei er aber noch lange nicht, sagt er. Ihm sei wichtig, Spaß zu haben. Leistungsdruck gebe es bei „Ten Sing“ nicht. Aber was bringt das dann überhaupt? Die Jugendlichen erzählen: Bei „Ten Sing“ gehe es wirklich in erster Linie um die Zusammengehörigkeit, den Teamgeist und das gemeinsame Bewerkstelligen von Aufgaben wie die eigene Bühnenshow. Alles ist dabei erlaubt: Singen, Instrumente spielen und tanzen. Aber auch die Bühnenperformance kommt nicht zu kurz. Das Konzept von „Ten Sing“ scheint für die jungen Leute also aufzugehen: Das Selbstbewusstsein zu stärken, Zusammengehörigkeit zu spüren, egal wie gut der eine oder der andere ist. Viele der Jugendlichen haben dort sogar gute Freunde gewinnen können, sagen sie. Lysette sagt: „Ich habe hier sogar meinen Freund kennen gelernt.“
Aber dennoch gibt es Probleme: Die Jugendlichen werden immer älter. Langsam verlassen sie die Schule, bekommen andere Interessen und haben bald auch keine Zeit mehr. Es gebe zu wenig Jugendliche ab 13 Jahren, die Interesse haben, mitzumachen. Dabei würde es jedem einzelnen so viel bringen, so Lysette. „Jeder kann so sehen, was in ihm steckt und lernt dabei fürs Leben“, sagt Johannes.
Wer Lust hat, mitzumachen oder es sich erst einmal ansehen will, kann jeden Montag ab 18 Uhr in den Keller der Nikolaikirche zu den Proben kommen oder im Internet unter www.cvjm-potsdam.de schauen.
Sabine Blumrich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: