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SAMSTAGScocktail: So viel Unheimlichkeit

Gibt es sie noch, die ungebrochene Verzauberung? Im Disney-Weihnachtsfilm wird vom Frost im Herzen einer Königin erzählt.

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Gibt es sie noch, die ungebrochene Verzauberung? Im Disney-Weihnachtsfilm wird vom Frost im Herzen einer Königin erzählt. Die Königin kann nichts für den Frost, es ist eine Art Fluch. Während ich den ganzen Film über gespannt bin, wie wohl die Macher dramaturgisch aus der Nummer rauskommen, legt die Königin auf der Leinwand am Ende einfach einen inneren Schalter um: von Frost auf Liebe. Sie nimmt sich das Lieben ganz einfach vor. Sie umarmt ihre Schwester, die sie bis dato gemieden und verdammt hat, und der Fluch ist aufgehoben. Die Schwester umarmt und liebt zurück, legt allerdings kurz darauf ebenfalls einen Schalter um: Sie haut dem hinterhältigen Prinzen ordentlich eins in die Fresse (schließlich ist sie ihm lange genug auf den Leim gegangen). Der hinterhältige Prinz kippt über die Reling und ward nie wieder gesehen. Jubel bei den eben noch andächtig bibbernden Vier- bis Zehnjährigen über die Hulk-Manieren der Prinzessin. Auch sie haben umgeschaltet. Sie scheinen daran gewöhnt, dass da, wo Verzauberung ist, die Entzauberung nicht lange auf sich warten lässt. Sie wissen, das Feierliche, Erhabene und Zeremonielle gehört sofort und allerorts mit Ironie abgelöscht. Angesichts des täglichen Märchenspiels auf dem Luisenplatz schwindet meine Hoffnung, dass diese Regel umstößlich sein könnte. Ist es Angst davor, humorlos und deshalb lächerlich und uncool zu wirken, Angst vor Verstaubtheit oder schlicht zu wenig Vertrauen in die eigene Verwandlungskunst, wenn der Erzähler mit einem Bein im Märchen steht, mit dem anderen aber dauernd in der Welt draußen, bei den Erwachsenen? Auf der riesigen Fahne, die er mit seinen flapsigen Ausfällen immerfort schwenkt, steht ungefähr: ICH glaub den Kinderquatsch hier nicht. Polieren wir das Ganze ein wenig auf mit etwas, das mehr nach UNSEREM Geschmack ist. Immer und überall werden Kinder in unserer Welt ernst genommen. Ihre Ansichten und Absichten, ihre Kaufentscheidungen, Joghurtsorten, Wochenendgerichte, Farbe des Pullovers, Mittagsschlafbedürfnis, Vorlieben und Abneigungen. Bloß bei dem, was tatsächlich kindlich ist, nicht. Vielleicht ist er uns einfach bloß unangenehm geworden, der Anblick der wirklichen, schönen Einfalt. Jemanden zu sehen, der in echt staunt, in echt Angst hat, in echt an irgendwas glaubt

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr der Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

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