Landeshauptstadt: Soll die Bibliothek weichen?
PROWer anerkennt, dass Potsdam ein architektonisches Gesamtkunstwerk ist, der kommt nicht umhin, die Eingriffe der DDR-Zeit als eine Art dreidimensionale Bilderstürmerei zu sehen. Grundrisse, Höhen, Gebäudefluchten, wohlüberlegt und nirgendwo zufällig in der Potsdamer Baugeschichte, wurden missachtet als Selbstvergewisserung der Macht – „Seht her, wir dürfen das“ – oder als Zeichen des Anbruchs einer völlig neuen Epoche.
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PRO
Wer anerkennt, dass Potsdam ein architektonisches Gesamtkunstwerk ist, der kommt nicht umhin, die Eingriffe der DDR-Zeit als eine Art dreidimensionale Bilderstürmerei zu sehen. Grundrisse, Höhen, Gebäudefluchten, wohlüberlegt und nirgendwo zufällig in der Potsdamer Baugeschichte, wurden missachtet als Selbstvergewisserung der Macht – „Seht her, wir dürfen das“ – oder als Zeichen des Anbruchs einer völlig neuen Epoche. Die währte nach Einweihung der Bibliothek Am Kanal noch 15 Jahre und scheiterte kläglich. Die Frage ist, wieviele Zeugnisse eines keineswegs linken, sondern dilettantischen Verständnisses von Städtebau und Architektur wir mitnehmen sollten in eine Zukunft, in der sich die Bürger Potsdams mehr und mehr auf andere Phasen der Stadtgeschichte besinnen? Der DDR-Städtebau in Potsdam besaß den kulturellen Reifegrad eines Jungen, der dem Originalgemälde „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci einen Schnurrbart aufmalt. Wie Dokumente zum Abriss der Synagoge am Platz der Einheit verdeutlichen, hatten die Verantwortlichen ein Geschichts- und Kulturverständnis, mit dem man heute sehr einsam wäre. Ebenso wenig, wie bei der Restaurierung der Mona Lisa ein Barthaar als zeitgeschichtliches Zeugnis übrig bliebe, sollte die Bibliothek stehen bleiben. Sie ist auch nach der Sanierung ein Haus auf Abruf. In wenigen Jahren wird das die Mehrheitsmeinung sein. Guido Berg
Contra
Man könnte es sich an dieser Stelle einfach machen. Man könnte darüber reden, mit wie vielen Beschlüssen die Sanierung der Bibliothek bereits in Beton gegossen wurde. Man könnte die zahllosen Stunden anführen, die Experten in Workshops diskutiert haben und man könnte den Masterplan für die Mitte beschwören. Man könnte die seltene Einmütigkeit hervorheben, mit der von Linke bis CDU alle die Sanierung des Bibliotheksgebäudes abgesegnet haben – und erklärtermaßen daran festhalten wollen. All das könnte man tun und hätte gewichtige Argumente, das Haus dort stehenzulassen.
Man kann aber auch rein architektonische Aspekte ins Feld führen – und so die Barockaner von „Mitteschön“ mit ihren eigenen Waffen schlagen. Nicht wenige Bauexperten sehen in dem Bibliotheksgebäude ein gespiegeltes Zitat zur WilhelmGalerie – beide Bauten fassen den Platz an seiner Nord- und Südseite, geben ihm Profil, Struktur und ein Gleichgewicht. Nicht umsonst war keines der Innenstadtgebäude aus DDR-Zeiten dermaßen unumstritten wie der Stahlbetonskelettbau Am Kanal. Es geht nämlich nicht um den Erhalt von DDR-Architektur, sondern um den Umbau eines Gebäudes nach einem Entwurf, der bislang alle überzeugt hat, auch Kritiker. Es ist vollkommen egal, ob man politisch argumentiert oder architektonisch – einen überzeugenden Grund für den Abriss gibt es einfach nicht.
Peer Straube
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