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Landeshauptstadt: Sommer vor den Gittern

Jochen Stern saß im Stasi-Knast Lindenstraße 54 ein. Später spielte der Schauspieler den Nachbar Ekel Alfreds

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Es wirkt so friedlich, so unschuldig auf ihn. Als Jochen Stern Jahrzehnte später die Adresse Lindenstraße 54 aufsucht, erscheint ihm der Ort sehr milde. Der große Außenzaun, der die Passanten vor 1990 auf die andere Straßenseite zwang, fehlt nun. Erst als er durch den Innenhof geht, melden sich Emotionen. Jochen Stern, Jahrgang 1928, wurde in Westdeutschland Schauspieler. Er ist bekannt als Ekel Alfreds Nachbar Koslowski in der Kultserie „Ein Herz und eine Seele“. Mehr noch als der erste Besuch am Grab seiner Jugend holte irgendwann in all den Jahren ein Shakespeare-Monolog, den er zu sprechen hatte, die alten Bilder wieder hoch. Die Lindenstraße aber betrat er mit einer gewissen Distanz. „Ich brach nicht innerlich zusammen.“ Am Donnerstagabend war er zum dritten oder vierten Mal in der Gedenkstätte, in jenem alten Gerichtssaal, in dem der 1947 verhaftete 19-jährige Neulehrer vom sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er sei ein amerikanischer Spion, so der unsinnige Vorwurf.

„Sie kamen gegen Morgen. Rotarmisten mit grünen Tellermützen, regungslosen Gesichtern, sie pochten mit ihren Stiefeln gegen die Haustür“ So beginnt der Auszug aus seinem Buch „Von Mimen und anderen Menschen“, aus dem Jochen Stern vorliest. Ironie und Sarkasmus, womit der 1954 Entlassene die Jahre der Haft in Potsdam und Bautzen bewältigt, erfüllen jede Szene und sind auch nun zu spüren, da der Schauspieler vorliest, wie sie ihn holten. Er akzentuiert versiert, setzt Pointen gekonnt. „Das ist schon etwas, das ich gerne mache“, sagt er im Anschluss, ironisch bis sarkastisch auf die Erfahrungen zu reagieren. Dass er damit auch etwas „überbrückt“, weiß er. Und auch, dass viele seiner Leidensgefährten stärker an ihren Erfahrungen litten. Die Lindenstraße war „grausam, furchtbar“, die psychischen Anforderung war „unheimlich“. Seine Eltern, die von Frankfurt/Oder nach West-Berlin gezogen waren, schickten ihn nach seiner Freilassung in eine Karnevalssitzung. „Meine Eltern meinten es gut“, sagt Jochen Stern. Er habe sich seine jugendliche Vergangenheit dann in dem Buch „Der Westen schweigt“ von der Seele geschrieben. „Sie ficht mich heute nicht mehr so an.“

Einmal, da drehen sie bei „Ekel Alfred“ die Serie „Der Staatsfeind“. Alfred und er, sein einziger Freund, glauben, sie würden vom Geheimdienst ausspioniert. Sie taten konspirativ, so, als würden sie sich nicht kennen. Die Episode muss zum piepen lustig gewesen sein. Dabei war er, wie er sagt, tatsächlich ja einmal ein Staatsfeind.

„Potsdam, Lindenstraße wieder hallende Schritte im Gefängnislabyrinth, unendlich lange Gänge und Etagen in fahles Licht getaucht grau die Wände, grau die Zelle.“ Der Klutschnik, der Schließer, sperrt Jochen Stern in Zelle Nr.7. Er hat keine Ahnung, was er verbrochen haben könnte. Im Putz sieht er eingeritzte Striche, immer vier hochkant und einer quer. „Zweihunderteinundreißig zählte ich. Irgendwer war so lange in dieser Zelle?“

Der kleine Mann mit den weißen Haaren zeigt auf die Stelle, wo, etwas erhöht, das Militärtribunal saß. Sie wird verdeckt durch eine Wand, die damals nicht da war. 1808 tagte im Saal die erste Potsdamer Stadtverordnetenversammlung. Das Erbgesundheitsgericht der Nazis verurteilte hier Menschen zur Zwangssterilisation. Stern hofft, dass sich eines Tages die Restaurierung des alten Gerichtssaales „einrichten lässt“. Er findet, „dass die Opfer des Kommunismus nicht wahrgenommen werden“. Jochen Stern ist einer von 40 000 Beschuldigten, die von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt wurden. Er bietet an, als Zeitzeuge in die Schulen zu kommen und von der Einsamkeit in den Zellen zu berichten. Nicht immer werde das Angebot angenommen. Keineswegs teilt er die Ansicht derer, die meinen, es solle weniger die Stasi und mehr der DDR-Alltag in den Vordergrund der Geschichtsbetrachtung gerückt werden.

An diesen Gegensatz dachte auch Hans-Hermann Härtle, Wissenschaftler am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung, als er verspätet zu der Lesung von Jochen Stern in die Lindenstraße kam. Er hatte noch etwas in der Brandenburger Straße gegessen, wo hunderte Fans vor Bildschirmen ausgelassen die Fußballweltmeisterschaft feiern. Durch die Gitterstäbe sieht er dann den alten Mann vor wenigen Interessierten davon berichten, wie ihm die Staatsmacht die schönsten Jahre seines Lebens raubte. So war das damals in der DDR auch, sagt Härtle, draußen ein durchaus schöner Alltag. Und weniger Meter weiter Menschen hinter Gittern, weil sie vielleicht einen Ausreiseantrag gestellt haben.

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