Landeshauptstadt: Sonntags nie
Edikt von 1809: Gaststätten bleiben geschlossen
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Edikt von 1809: Gaststätten bleiben geschlossen Im Stadtgebiet müssten sonntags alle Gaststätten geschlossen bleiben. Bis heute wurde das dazu 1809 erlassene Königliche Edikt nicht widerrufen, besitzt also weiter Rechtskraft. Dies eröffnete Susanne Marock am Mittwochabend den Gästen des Preußischen Stammtischs im „Stadtwächter“. Die Potsdamer Historikerin hat bei schul-und kirchengeschichtlichen Forschungen im Geheimen Staatsarchiv Dahlem Akten aufgefunden, die sich mit dem Edikt befassen. Die strengen Vorschriften hatten die Potsdamer Wirte und Ladenbesitzer dem kurmärkischen Regierungsrat Ludwig Natorp zu verdanken. Der aus Essen gekommene Schulreformer ist eher dafür bekannt, dass er die Große Stadtschule in den Rang eines Gymnasiums erhob, die Höhere Bürgerschule Am Kanal gründete und die Schaffung des Potsdamer Lehrerseminars vorbereitete. In religiösem Eifer wollte der „Feldmarschall des Glaubens“ (König Friedrich Wilhelm III.) alle Potsdamer zum Gottesdienstbesuch anhalten. Obwohl es dazu schon 1690 bis 16 95, 1711 bis 1714 und zuletzt 1805 Verfügungen gegeben hatte, liefen viele Potsdamer nach wie vor sonntags lieber in die Läden und Gastwirtschaften oder sahen Schaustellern zu. Hier setzte Natorp den eisernen Besen an. Dagegen rebellierten als erste die Schlächter, die am Alten Rathaus ihre Verkaufsstände hatten. Damals konnte sich der „Normalverdienende“ nur sonntags Fleisch leisten, und das musste er frisch kaufen, denn Kühlschränke gab es noch nicht. Die Festlegung des Edikts, dass die Stände zwischen 9 und 11 Uhr und 14 bis 16 Uhr geschlossen bleiben mussten, war für das Fleischerhandwerk also existenzbedrohend. Alle Beschwerden wurden jedoch von den Behörden abgeschmettert, ebenso die des Gastgewerbes. Dessen Wortführer war Friedrich Wilhelm Vogel, der in der heutigen Leipziger Straße die „Drei Kronen“ betrieb. Vogel machte darauf aufmerksam, dass er keinen Ausschank, sondern einen Gasthof für „gebildete Stände“ unterhalte, die jederzeit versorgt werden müssten. Wenn er sonntags nicht öffnen dürfe, kehrten die Ausflügler einfach ein Stück weiter außerhalb der Grenzen des Amtes Potsdam ein. Der streitbare Gastronomen wurde dennoch zu immer höheren Strafen verdonnert und musste seinen Gasthof aufgeben. Ähnlich hart verfuhren die Behörden mit Anträgen von Bauunternehmen, ausnahmsweise sonntags arbeiten zu dürfen. Selbst der berühmte Baumeister Manger erhielt den Bescheid, bei „gehöriger Arbeit“ der Bauleute könne er das Invalidenlazarett auch ohne Sonntagsarbeit termingerecht fertig stellen. Natorp setzte sogar durch, dass zur Vermeidung von Störungen die Kirchentüren bei Beginn des Gottesdienstes verschlossen wurden. Viele Gläubige aus den Umlandorten, die nach stundenlangen Fußweg nur wenige Minuten verspätet eintrafen, blieben dadurch ausgesperrt. Ludwig Natorp machte sich durch diese rigorosen Maßnahmen bei den Einwohnern herzlich unbeliebt. 1817 wurde er ins heimatliche Westfalen zurückversetzt. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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