Landeshauptstadt: Sparstrümpfe im Doppelpack
Auskommen mit 6,50 Euro am Tag. Eine Sozialhilfeempfängerin und allein Erziehende schildert, wie sie dem Wenigen noch etwas abzwackt.
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Auskommen mit 6,50 Euro am Tag. Eine Sozialhilfeempfängerin und allein Erziehende schildert, wie sie dem Wenigen noch etwas abzwackt. Von Nicola Klusemann Spartipps sind gratis: Papierkaffeefilter mehrfach benutzen, Badewasser eimerweise als Klospülungsersatz, im Winter den Heizungsregler auf maximal 17 Grad, dazu dicke Pullover und Wolldecken, zwei paar Socken übereinander als doppelter Sparstrumpf gegen die Fußkälte. Sparen ist bei der Sozialhilfeempfängerin zur Lebensaufgabe geworden – zwangsläufig. Sie hat gelernt, wie man dem Wenigen noch etwas abzwackt. Die allein erziehende Mutter einer 15-jährigen Tochter lebt – wie immer mehr in dieser Stadt – am Existenzminimum, seit sie ihre Arbeitsstelle verlor und ihr Ex-Mann die Unterhaltszahlung für das Kind einstellte. Mit ergänzender Sozialhilfe habe sie jetzt in einem Monat mit 30 Tagen 6,73 Euro, bei 31 Tagen lediglich 6,51 Euro täglich zur Verfügung. Damit müsse sie Lebensmittel, Schulmaterial, Bekleidung, Putzmittel und Drogerieartikel bezahlen. Kontrolluntersuchungen beim Arzt spart sie sich und hofft, dass niemals Tierarztkosten für die kleine Katze anfallen. Die fast vierzigjährige Potsdamerin würde ihren Namen gerne preis geben, fürchtet aber, dass ihre Tochter dann in der Schule gehänselt wird und bleibt lieber anonym. Es sei so schon schwierig genug, wenn ihr Kind beispielsweise das einzige sei, dass kein Geld für die Klassenfahrt habe oder eben nicht mit dem neuesten Chic in die Schule ginge. Sie verlange so schon von der 15-Jährigen eine Menge Verständnis. Brav würde sie sich an den strengen Sparkurs halten. In den kalten Monaten käme kaum jemand zu Besuch, weil es in der Innenstadt-Wohnung nicht gerade kuschelig warm sei. Aber trotzdem, weiß sie aus ihrer eigenen Teenagerzeit, hätten junge Mädchen ihre Wünsche. Deren Erfüllung fast immer verweigern zu müssen, geht der Mutter sehr nah. Die gelernte Lebensmittelchemielaborantin ist unverschuldet in die Misere geschliddert. Nach ihrer Scheidung Ende der 90er Jahre arbeitete sie in der Gastronomie, später als Verkäuferin im Einzelhandel. Damals teilte sie sich ihre Wohnung mit ihrer Mutter, die auf die Kleine aufpasste. „Als meine Mutti plötzlich starb, stand ich unter Schock.“ Vier Wochen Trauerarbeit brauchte sie, um den Tod der Mutter einigermaßen zu überwinden. Ihr Arbeitgeber hatte dafür kein Verständnis und kündigte ihr. Inzwischen hatte ihr Ex-Mann die Unterhaltszahlung für das Kind halbiert, seit August 2002 zahlt er gar nicht mehr. Über Prozesskostenhilfe finanzierte sie einen Anwalt, der einen Vollstreckungstitel gegen den Kindsvater erwirkte. Wegen Steuerbetrugs sei nun auch der Fiskus hinter dem selbstständigen Ex-Mann her. Da sei nichts zu holen, stellt sie lakonisch fest. Seit sie mit Kontoauszügen dem Sozialamt belegen könne, dass keine Unterhaltszahlung eingingen, erhalte sie ergänzende Sozialhilfe. Bei dem Gang durch die Behörden half ihr eine Ehrenamtliche des Diakonischen Werks. „Alleine hätte ich nicht gewusst, worauf ich Anspruch habe.“ Auch von der Möglichkeit der ehrenamtlichen Betreuung erfuhr die starke Frau durch Zufall. Wegen einer chronischen Erkrankung musste sie in den vergangenen Jahren mehrfach zur Langzeitbehandlung ins Krankenhaus. Einer Zimmernachbarin hatte sie sich anvertraut und die gab ihr den Tipp. Auch ihre Erfahrungen mit dem Sozialamt seien gemischt. Immer als Bittsteller vorsprechen zu müssen, sei erniedrigend. Die Sozialhilfeempfängerin wünsche sich stattdessen von Seiten der Behörde mehr Entgegenkommen und eine umfassende Information über die Hilfsangebote. Auch das komplizierte Beantragen jedweder Unterstützung sei sehr zeitaufwendig. Und der bürokratische Aufwand halte sie vom Wesentlichen ab: „Ich würde mir nämlich sehr gerne eine neue Arbeitsstelle suchen.“
Nicola Klusemann
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