Von Peer Straube: Spaziergänge, für die sich eine Lupe lohnt
Der Fotoband des Potsdam-Museums über das alte Potsdam ist ein Bestseller. Die Hälfte der Erstauflage ist schon weg
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Eigentlich müsste man Hartmut Knitter zum Buch dazuliefern. Denn der verdiente Stadthistoriker und langjährige Leiter des Potsdam-Museums sprudelt geradezu über vor Anekdoten und wenig bekannten Geschichten, die sich um die 160 Fotos in dem gewichtigen Werk ranken. Wer weiß schon, dass die Matrosenstation Kongsnaes die erste Empfangsstation für drahtlose Telegrafie in Deutschland war? Der technikbegeisterte Kaiser hatte es gnädig erlaubt, erzählt Knitter.
Da das mit dem Mitliefern aber leider nicht geht, muss also jeder Betrachter seine eigenen „Spaziergänge durch Potsdam“ unternehmen. Doch keine Angst, das so betitelte Buch birgt auch ohne die würzenden Worte des Historikers einen wahren Schatz für Liebhaber des alten, unzerstörten Potsdam.
Gestern wurde das Werk offiziell vorgestellt, im Handel ist es bereits seit dem 7. Oktober. Und die Hälfte der 1500 Exemplare der ersten Auflage ist trotz des Preises von 24,80 Euro bereits weg. Quelle des Buches sind, wie berichtet, die Fotos des Ateliers Eichgrün, das vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1957 in Potsdam existierte. Der Nachlass von Ernst und Walter Eichgrün konnte dank Spenden, unter anderem von TV-Moderator Günther Jauch, für die Sammlung des Potsdam-Museums erworben werden. Die Einrichtung hat das Buch gemeinsam mit dem Museums-Förderverein und dem Potsdamer Grafiker Peter Rogge und dem vor einem Jahr verstorbenen Chef der fotografischen Abteilung des Potsdam-Museums, Peter Herrmann, herausgegeben. Rund ein Drittel der Fotos seien nun zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht, sagte Rogge. In mühseliger Kleinarbeit wurden teilweise völlig zerkratzte oder gar gesplitterte Glasnegative sorgfältig restauriert.
Das Ergebnis gehört nun zu den Standardwerken der Fotografie des historischen Potsdam. Der Vizechef des Museums, Hannes Wittenberg, ist sicher, dass es dort seinen Platz „über viele Jahrzehnte behaupten“ wird. Sechs Spaziergänge durch die Innenstadt und Sanssouci hat Peter Rogge für das Buch zusammengestellt, die man anhand eines historischen Stadtplanes nachvollziehen kann. Der ist denn auch das einzige Manko des Buches, setzt er doch die Kenntnis sowohl des alten Stadtgrundrisses als auch der oft nicht mehr existenten Straßennamen voraus. Für eventuelle künftige Auflagen wolle man für dieses Problem aber nach einer Lösung suchen, versprach Rogge.
Von diesem Wermutstropfen abgesehen, bietet das Buch ein umwerfendes Panorama Potsdams zwischen 1890 und 1952. Der Detailreichtum der gestochen scharfen, auf Platte aufgenommenen Bilder fordert geradezu auf, sie mit der Lupe zu betrachten – was Knitter ausdrücklich empfiehlt. Nur so kann man die Umbauten an den Fahrzeugen erkennen, die auf einem der Bilder vor der Nikolaikirche parken. Das Foto stammt von 1943, aus einer Zeit also, als der Krieg zu extremer Benzinknappheit geführt hatte. Am Heck der Autos sieht man daher mit Holz betriebene Vergaser, ein Wagen hat gar Brennmaterial auf dem vorderen linken Kotflügel zu liegen. Und wer genau hinschaut, kann die weiß getünchten Bordsteine erkennen – eine nächtliche Orientierungshilfe, „denn Potsdam war eine verdunkelte Stadt“, so der Historiker.
Und da Knitter nicht mit dem Buch geliefert werden kann, liefert er seine Anekdoten zum Buch im historischen Saal der Gedenkstätte in der Lindenstraße 54/55. Sechsmal – für jeden Spaziergang ein Abend. Der erste findet am Donnerstag, dem 25. November, um 18.30 Uhr statt. Potsdam-Liebhabern sei er dringend ans Herz gelegt.
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