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Landeshauptstadt: Sprechstunde auf der Straße

Mit rollender Arztpraxis wollen Stadt und Klinikum medizinische Grundversorgung Obdachloser sichern

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Lange Warteschlangen wird das mobile Arztteam des Klinikums Ernst von Bergmann nicht gleich vorfinden, wenn es künftig donnerstags für Visiten unterwegs ist. Es werde eine Weile dauern, bis sich Patienten zur Sprechstunde in das Arztmobil trauen, das am Dienstag vor der Potsdamer Suppenküche vorgestellt wurde. Denn das Angebot richtet sich an Obdachlose. Und diese hindere häufig ein Schamgefühl oder die fehlende Krankenversicherung am Arztbesuch. „Man muss Geduld haben“, meinte Michael Oppert, Facharzt des Klinikums.

Der Bedarf an medizinischer Versorgung von Obdachlosen ist indes groß. „Das ist offenkundig“, sagt Jochen Becker von der Creso gGmbH, die in Potsdam im Auftrag der Stadt ein Streetworker-Projekt trägt. Das Ergebnis einer Creso-Initiative ist eine rollende Arztpraxis, mit der Stadt und Klinikum jetzt die medizinische Grundversorgung für wohnungslose Menschen in Potsdam sichern wollen. „Damit schließen wir eine Lücke, die wir in dem Netz noch hatten, um Wohnungslose in ihrer prekären Situation zu helfen“, sagte Potsdam Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger.

Für das Arztmobil wurde ein ausrangiertes Rettungsfahrzeug der Potsdamer Feuerwehr um- und ausgerüstet, sodass eine Basisversorgung bei Erkrankungen wie Bronchitis, Hautproblemen, offenen Füßen und Wunden oder auch der Befall von Läusen möglich ist. „Die Behandlung ist vergleichbar mit einer Minimalversorgung eines Hausarztes“, sagte Klinikumsarzt Oppert. Ausgestattet ist das mobile Arztteam mit Stethoskopen, Messgeräten für Blutdruck und Blutzucker, Basismedikamenten und Verbandsmaterialien. „Neben der medizinischen Versorgung geht es auch darum, Kontakt zu den Betroffenen aufzunehmen, ihnen wieder Vertrauen zu geben, um sie ins Sozialsystem zurückzuführen“, betonte Oppert.

Denn viele Obdachlose würden ärztliche Hilfe gar nicht oder zu spät in Anspruch nehmen, obwohl sie das Recht dazu haben, sagte Sozialbeigeordnete Müller-Preinesberger. Um die Hemmschwelle zu nehmen, sollen Streetworker zwischen dem Arztteam und Obdachlosen vermitteln. „Genauso wie wir für Betroffene Kontakte zur Schuldnerberatung oder zum Jobcenter herstellen und sie zu Erstberatungen begleiten, wollen wir sie künftig auch zum Arztmobil bringen“, sagte „Wildwuchs“-Sozialarbeiterin Friederike Neumann. Das Streetworker-Projekt des Diakonischen Werkes Potsdam kümmert sich um Jugendliche und junge Menschen bis 27 Jahre, die in Potsdam auf der Straße leben.

Auch wenn Klinikumsarzt Oppert beim Warten auf Patienten einen langen Atem fordert, ist die Finanzierung des Pilotprojektes zunächst nur für sechs Monate durch das Klinikum gesichert. Dann hofft Sozialbeigeordnete Müller-Preinesberger, sich mit Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung auf eine Unterstützung geeinigt zu haben. „Noch haben wir sie als Partner nicht im Boot“, bedauerte sie, gleichwohl gebe es bereits Gespräche.

Dass Angebote wie das Arztmobil angenommen werden würden, beweise die Stadt Hagen in Nordrhein-Westfalen. „Dort kommen pro Quartal etwa 50 Obdachlose in die Sprechstunden“, weiß Creso-Chef Becker.

Das Arztmobil wird in Potsdam jeden Donnerstag an drei Standorten stehen - ab 11 Uhr jeweils eine Stunde vor der Suppenküche am Stadthaus, am Konsumhof in Babelsberg sowie an der Nordseite des Hauptbahnhofs.

Zudem verweist die Stadt auf weitere Hilfsangebote für Obdachlose im Winter. Mit der Arbeiterwohlfahrt sei vereinbart worden, dass am Obdachlosenheim am Lerchensteig im Winter niemand abgewiesen werden darf. Nach städtischen Angaben sind derzeit zirka 200 Menschen in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe untergebracht.

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