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Nachtwächter Horst Hildenbrand im brandenburgischen Altlandsberg.

© dpa

Von Anja Sokolow: Stadtrundgang mit Umhang, Hut und Laterne

Unterwegs mit Nachtwächtern und Botenfrauen / Alternative zur klassischen Führung

Stand:

Altlandsberg/Lübben/Belzig ­ Das Städtchen Altlandsberg (Märkisch-Oderland) ist fast völlig in Dunkelheit getaucht. Nur einige Straßenlaternen werfen stimmungsvolles Licht auf die historischen Fassaden im mittelalterlichen Stadtkern. Leben herrscht in dieser Nacht nur am Strausberger Torturm. Aus dem Innern des 22 Meter hohen, und aufgrund seiner Dauerbewohner „Storchenturm“ genannten, Feldsteingemäuers tritt ein kräftiger Mann im Nachtwächtergewand vor eine Besuchergruppe.

Er trägt einen schwarzem Umhang, Hut und Laterne. Kräftig bläst er in sein Horn und ruft „Hört, ihr Leute, lasst euch sagen, unsere Uhr hat zehn geschlagen!“. Während Nachtwächter im Mittelalter dafür sorgten, dass kein Brand und Diebstahl unentdeckt blieb und sich mit der Zeitansage bemerkbar machten, ist Horst Hildenbrand in diese historische Rolle geschlüpft, um seinen Gästen auf originelle Art die kleine Stadt zu zeigen. An diesem Freitag beginnt für ihn die Hauptsaison.

Der bärtige 68-Jährige trägt ein eigenes Gedicht über den 780 Jahre alten Ort vor, um dann mit der Gruppe durch Straßen und Gassen zu ziehen. An diesem Abend liegen der Marktplatz, die Apotheke mit Synagogenraum, die fast vollständig erhaltene Stadtmauer aus dem 17. Jahrhundert, der Gutshof und das ehemalige Armenhaus auf der Route.

Den unterhaltsamen Spaziergang spickt der Nachtwächter mit spannenden Anekdoten rund um das ehemalige Ackerbürgerstädtchen mit heute rund 4800 Einwohnern. Immer wieder weist er auch auf Besonderheiten hin, etwa auf eine nach historischem Vorbild angelegte Hofeinfahrt. „Viele Hausbesitzer haben damals die überdachten Einfahrten mit Holz gepflastert“, erklärt er. Vor allem für metallbeschlagene Hufe und Radkränze waren diese Böden geeignet. Weil das Holz quer zur Faser gelegt wurde, waren sie besonders widerstandsfähig. Fasziniert klopfen die Stadtrundgänger auf das Holz und streichen über die Jahresringe. Am Ende der Tour gibt es im Storchenturm einen „Absacker“, den „Altlandsberger Nachtwächterlikör“. Die Runde ist begeistert von Hildenbrand, dem die Rolle wie auf den Leib geschneidert scheint. Dabei hatte der gebürtige Hesse, den die Liebe in den Osten verschlug, nie geplant, nachts als Rentner durch die Straßen Altlandsbergs zu ziehen.

Stadtsprecher Kurt Heidemann hatte ihn eigenen Worten zufolge 2005 gebeten, dieses Amt zu übernehmen. Die Wahl habe sich für die Stadt als Glücksfall erwiesen. „Viele Besuchergruppen fragen gezielt nach diesen Führungen“, sagt Heidemann. Nicht nur Touristen aus Berlin und Brandenburg zählten dazu, sondern auch Brautleute oder Jubilare, die ihren Gästen etwas Besonderes bieten möchten.

„Alles, was sich von klassischen Touren abhebt, wird besonders gern gebucht“, weiß auch Ulrike Bergmann von der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH. So zeige etwa der Sprachforscher Konrad Büchner seinen Gästen beim „Theatralischen Stadtspaziergang“ in Belzig überraschende Orte und romantische Winkel und unterhalte sie mit Sagen, Anekdoten und schaurigen Geschichten.

Was sich in den Gassen von Nauen (Havelland) einst zugetragen hat, erfahren die Gäste von der Botenfrau beim „Nauener Stadtgeflüster“. Ein Lottospiel wiederum veranstaltet Annette Schlimm beim „spielerischen Spaziergang“ durch Ziesar.

In Brandenburg gebe es zudem weitere Nachtwächter, erklärt Hildenbrand. Der frühere Mitarbeiter einer Computerfirma hat sich Ideen beim Nachtwächter Frank Selbitz in Lübben (Dahme-Spreewald) geholt. Der wiederum kooperiert in der Spreewaldstadt mit Spreewald- Christl und Pfarrwitwe Sabina Fromm, die auch tags unterwegs sind. Auch für Hildenbrand reichen die Abendstunden längst nicht mehr aus.

Anja Sokolow

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