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Landeshauptstadt: Stadtteil der Superlative

240 Jahre wurde das 300 Hektar große Gebiet militärisch genutzt, nun entsteht in Rekordzeit ein neuer Stadtteil. Das Bornstedter Feld hat alles, was sich eine Stadt wünschen kann, auch wenn es nicht allen gefällt. Bis 2015 werden 1,4 Milliarden Euro investiert sein

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Bornstedter Feld - Vor zwanzig Jahren standen hier Panzer. Und Russen. Und jede Menge militärische Infrastruktur. Etwa 240 Jahre wurde das Gelände militärisch genutzt, das Bornstedter Feld. Erst von den Preußen, später von den sowjetischen Streitkräften. Doch dann war auf einmal Schluss. 1994 sind die letzten russischen Streitkräfte abgezogen, hinterlassen haben sie ein teilweise verseuchtes Gelände. Inzwischen von den Altlasten befreit gehört der Stadtteil zu den Superlativen in der Landeshauptstadt: Am schnellsten wachsendes Gebiet, in der Bevölkerungsstruktur eines der jüngsten Stadtgebiete und eines der teuersten: 1,4 Milliarden Euro, sagt Horst Müller-Zinsius, werden nach Abschluss der Entwicklungsmaßnahme im Stadtteil investiert worden sein. Bei einer Milliarde sei man bereits angelangt.

Die Meinungen über die Entwicklung des 300 Hektar großen Gebietes vom Jungfernsee bis zum Voltaireweg gehen allerdings weit auseinander: Während es der frühere Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) es als eines der deutschlandweit besten Beispiele für die Umgestaltung ehemaliger Militärflächen in einen lebendigen Stadtteil bezeichnete, sieht der Potsdamer Architektur-Professor Klaus Theo Brenner im Bornstedter Feld einen Stadtteil wachsen, „wie moderne Stadtarchitektur nicht aussehen sollte“. Qualität am Wohnungsbau? Für ihn ist das Neubauviertel aus Ein- und Reihenhäusern verschiedenster Bauträger direkt neben dem Volkspark „ein Beispiel, wie so etwas vollkommen schief laufen kann“. Die Häuser würden rumstehen wie die Kühe auf der grünen Wiese. Aber auch der mehrgeschossige Wohnungsbau entspricht nicht seinen Gedanken eines modernen Stadtteils: „Nehmen Sie die neuen Wohnbauten an der Pappelallee neben der Fachhochschule, das sieht aus wie Siedlungsbau der 1970er Jahre. Mit Stadt-Architektur, auch in einem moderaten Sinne mit gemäßigter Dichte, hat das nichts zu tun“, sagte Brenner kürzlich in einem Interview mit dieser Zeitung. Er plädierte auch für eine höhere Attraktivität des öffentlichen Raumes. Dazu müsse es Nutzungen geben wie Büros oder Läden, die für die Öffentlichkeit gedacht sind.

Er ist nicht der einzige, der sich an der Architektur und der Gestaltung des Viertels stört. Dicht an dicht stehen die Häuser inzwischen in den dafür vorgesehen Parzellen. Ein Großteil der sogenannten Gartenstadt Süd ist bereits bebaut, die Häuser und Wohnungen von Investoren gebaut und verkauft. Nun soll sich die Häuser-Raupe in Richtung Norden ausdehnen, denn an den ursprünglichen Planungen wird weiter festgehalten. Und so könnte es auch das seit sieben Jahren von Stefanie und Andi Külzer geführte Golfzentrum in der nördlichen Gartenstadt bald treffen. Statt patten heißt es dann klotzen, Stein auf Stein. Schon Ende diesen Jahres muss das Potsdamer Golfzentrum wahrscheinlich weichen, damit weitere Häuser entstehen können. Noch träumen die Betreiber allerdings vom Erhalt des Standortes und gemeinsam mit dem Golfzentrum Kemnitz vom Zuschlag für ein olympische Golfzentrum Deutschland. Dass die Region attraktiv ist, beweisen diverse Veröffentlichungen in Golf-Magazinen: Der Platz in Kemnitz und vor allem der in Seddiner See sollen zu den Top-Ten-Plätzen Deutschlands gehören.

Es wird nicht der einzige grüne Aderlass. Auch der Volkspark selbst soll in den nächsten Jahren schrumpfen. Wo heute Beachvolleyball gespielt wird, könnten bald Häuser stehen. Teile des 65 Hektar großen Parkes, der im Zuge der Bundesgartenschau bis 2001 auf der ehemaligen Militärbrache entstanden ist, sollen bebaut werden. Denn die Begehrlichkeiten sind groß, das Bauland scheint sich gut zu verkaufen. Bis auf einige Flächen an der Pappelallee, die für Gewerbe vorgesehen waren, sehen die städtischen Planer keine Probleme bei der Verwertung der Flächen.

Volkspark, Fachhochschule, Biosphäre und ab 2012 auch noch das größte Potsdamer Schwimmbad mit Freizeitanteil – nebenan die Havel, den Pfingstberg und die Alexandrowka. Kein Stadtteil in Potsdam hat wohl mehr Attraktivität zum Wohnen und Leben als das Bornstedter Feld. 300 Hektar groß, bislang nur zu einem Teil entwickelt. Aber noch heute gibt es gelegentlich unsichtbare Spuren der früheren militärischen Nutzung. Eine Benzinblase in 18 Metern Tiefe steht unter ständiger Kontrolle. Eine Altlast an der Hannes-Meyer-Straße, Ecke Erich-Mendelsohn-Allee. Alles sei in Ordnung, heißt es auf Nachfragen. Doch immer wieder kommen Gerüchte bei den Anwohnern an. So zum Beispiel über die Wälle im Volkspark und dessen Untergrund. Der Boden sei nicht sauber, der Dreckboden einfach nur zusammengeschoben.

Beim Entwicklungsträger Bornstedter Feld gibt man auf solche Geschichten nichts. Der Boden sei komplett ausgetauscht. Bereits vor Beginn der Bundesgartenschau hatte der Entwicklungsträger unter anderem die „Deponie“, das größte kontaminierte Areal des Bornstedter Feldes, von Altlasten befreit. Dabei wurden 8000 Lkw-Ladungen mit verseuchtem Boden und Bauschutt abtransportiert, auch mussten Munitionsreste geborgen werden. Bis in sechs Meter Tiefe wurde der Boden ausgehoben und mit frischem Erdreich wiederverfüllt. Am Haupteingang zum Volkspark musste laut Entwicklungsträger ein unterirdisches Tanklager beseitigt werden, dazu gehörten 75 unter der Erde befindliche Tanks. Auch auf der Benzinblase sollen 32 Wohnungen entstehen, einzig dürften diese nicht wie geplant mit Erdwärme beheizt werden. Denn ein Bohrer soll die Blase nicht durchstoßen. Das hat die Untere Wasserschutzbehörde angeordnet.

Heute leben mehr als 4000 Menschen im Bornstedter Feld, knapp 2000 neue Wohneinheiten sind fertiggestellt. Komplett fertig sein soll das neue Stadtgebiet im Jahr 2015. Das Ziel des Entwicklungsträgers: 13 400 Bewohner, 7000 Wohneinheiten, 5000 Arbeitsplätze und eine Investition von insgesamt 1,4 Milliarden Euro. Das Gebiet reicht vom sogenannten Plattner-Campus im Norden, an dem in den nächsten Monaten mit den Hochbaumaßnahmen begonnen werden soll, bis zu den Ruinenberg- und Garde-Ulanen-Kasernen im Süden.

Mit den nächsten Bauabschnitten soll auch die Infrastruktur verbessert werden. Eine neue Grundschule entsteht bis zum Februar 2012 an der Pappelallee, auch ein Gymnasium oder eine Gesamtschule sind im Bornstedter Feld geplant. Wer die bezahlt und wann sie gebaut wird, ist allerdings noch nicht klar. Die anderen Infrastruktureinrichtungen sind derzeit leicht aufzuzählen. Eine Tankstelle, drei Supermärkte, eine Schule, zwei Sportfelder, zwei Straßenbahnlinien und vier Kilometer Asphaltweg im Volkspark. Nirgendwo in der Stadt lässt es sich angenehmer skaten als hier. Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht, als noch die Panzer über das Gelände rollten.

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