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Landeshauptstadt: Starker Motor, starke Bremsen

Wer ist der Mann, der mit seinen Kollegen den nächsten Golf entwirft? Thomas Ingenlath, Chef des VW Design Centers, sucht nach Schönheit, wo andere nicht hinsehen

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Ein Golf GTI prescht um die Ecke, die weiße Lackierung hebt die Fliegenpilz-roten Bremssättel optisch hervor. Kräftig beißen die Bremsen zu: Abrupt vernichten sie die Bewegungsenergie, die der 200-PS-Turbomotor dem Wagen aufzwang. Der Fahrer steigt aus und verschwindet durch eine Seitentür ins Haus. Darin arbeiten Leute, die sich so etwas einfallen lassen – rote Bremsen, rot wie Blut, rot wie Muskeln, rot wie eine Warnung. Achtung – gefährlich.

Die Sekretärin führt in das Chefzimmer des Potsdamer Volkswagen Design Centers, Herr Ingenlath werde gleich da sein. Das erste, was in Thomas Ingenlaths Büro ins Auge springt, ist der Tiefe See. Ein Panoramafenster nimmt eine gesamte Raumseite ein. Morgennebel steigt auf, die Babelsberger Enge ist kaum zu sehen, schemenhaft erscheinen das Kleine Schloss, der Flatowturm. Im Vordergrund gründeln zwei Enten. An Land begrenzen links die Villa Tummeley und eine große Eiche das Szenario, rechts auf der Wiese parkt der Käfer im Käfig, ein Kunstwerk. Auf dem Fenstersims steht ein Skoda-Logo auf Rädern. Ingenlath war zuvor Design-Chef bei Skoda, die gefeierten Modelle, der Octavia II, der Roomster, der neue Fabia, erhielten ihre Gestalt unter seiner Ägide. Der weiße Schreibtisch böte Platz für ein Acht-Personen-Dinner. Gegenüber stehen zwei Ledersessel und ein kleines rundes Beistelltischchen, auf das der Design-Chef zwei Teller mit je einem Croissant stellt, die er noch schnell irgendwo gekauft hat. Plötzlich stand er im Raum, mit den Worten, er müsse erst einmal etwas frühstücken, setzt er sich in den anderen Sessel.

Der Hausherr ist ein sportlich-schlanker, jugendlich wirkender Mann im Designer-Anzug mit Hemd und ohne Krawatte. Warum ging es ihm im Leben nicht um des Pudels Kern, sondern – um dessen Oberfläche, um das Aussehen, um das Äußerliche, um das Design statt um das Sein? Ingenlath lacht, zum Auftakt ein Angriff, wie schön.

Seine Arbeit ist nicht oberflächlich, mit jedem neuen Modell erschafft er eine Skulptur, das ist befriedigender, als eine 75-seitige Projektbeschreibung bei der Konzernleitung abgeben zu müssen. Es geht ihm ums Gestalten; er kann in diesem Haus seinen Gestaltungswillen ausleben. Sein Beruf ist handfest, im Center gibt es sogar eine Lackiererei.

Der Tag ist noch jung, er hat einen leeren Magen und doch muss er schon seinen Berufsstand verteidigen. Und das grundsätzlich. Ingenlath beißt ins Croissant. Wie wurde er, was er wurde und warum? Warum Autos? Schon in der Schule gab es ein Kurs über Gestaltung, das hat ihm gefallen. Das Designstudium in Offenbach war zuerst auch noch allgemeiner gehalten, er hörte viel über Designtheorie. Doch zum Vordiplom kam der Zeitpunkt, sich zu entscheiden: Der Jungentraum Auto war immer noch attraktiv, also befand er, „es wäre ein Schmarrn, ihn nicht zu leben“. Am Anfang war Naivität im Spiel, die heute, mehr als er möchte, durch Professionalität ersetzt wird. „Das hat mehr Tiefe, als man sich das mit zehn Jahren ausmalt, man ist froh, wenn noch ein wenig Naivität übrig bleibt.“

Der Mann überlegt, bevor er antwortet. Er hätte wohl Lust, so richtig loszulegen, zu plaudern, doch er hat sich unter Kontrolle, ähnlich wie der GTI – starker Motor, starke Bremsen. Es gibt Themen, bei denen er sich im Zaum halten muss.

Zum Beispiel der neue Potsdamer Landtag, wie denkt einer wie er, einer, der sich beruflich mit Ästhetik beschäftigt, über die Gretchenfrage, moderne Architektur versus historische Knobelsdorff-Fassade? Er will sich nicht auf die eine oder andere Seite schlagen. Er beginnt diplomatisch, er will nicht darüber richten, wie die Entscheidung ausfällt. Wie mit angezogener Bremse erzählt er, dass es bei der Frage der Fassade natürlich auch um Äußerlichkeit geht.

Aber dann dreht er auf – und ihm gelingt mit der Antwort zum Stadtschloss eine schöne Parade auf die Anfangsfrage nach des Pudels Kern oder -Oberfläche: Man darf nicht unterschätzen, wie man sich anzieht, was man fährt, wie die Wohnung aussieht, das sind alles Dinge, die Identität stiften, „mit denen ich das, was ich als mein Wesen, als meinen Charakter, meine Persönlichkeit sehe, kommuniziere mit der Außenwelt. Und der Mensch, der sagt und zeigt, dass er auf Mode keinen Wert legt, macht damit auch ein Statement. Genauso ist es mit der Stadt, die Fassade mag eine Äußerlichkeit sein, aber sie ist identitäts- und charakterbildend, es spiegelt den Charakter der Stadt wieder. Es ist schon ein Zeichen, wenn man kein supermodernes avantgardistisches Symbol hinsetzt, sondern sich auf die Historie bezieht.“

Da hat er doch mal losgelassen, Thomas Ingenlath löst den Widerspruch zwischen Innen und Außen auf: Außen, das Spiegelbild des Inneren, und das Innere sind nicht voneinander zu trennen.

Dann bremst er wieder, sicher ist wichtig für die Stadt, dass sie eine solche Diskussion führt – um dann den Turbo doch noch mal aufheulen zu lassen: Wenn man es macht, dann soll man es richtig machen!

Zu sagen, dass Thomas Ingenlath den schwierigsten Job in Deutschland hat, wäre sicher eine Übertreibung – aber nur eine kleine: Es hängt stark von ihm und seinen Designern ab, wie der nächste Golf aussieht. Fände das Brot- und Butterauto des VW-Konzern kein Gefallen, es wäre ein wirtschaftliches Desaster. Es ist schwer, den Mythos aufrecht zu erhalten. Vom Erfolg deutscher Autos hängt viel ab, die Automobilindustrie stellt jeden siebenten Arbeitsplatz in Deutschland. Einen großen Anteil daran hat VW und einen großen Anteil davon sichert der Golf. Wie sich das Design eines Autos auf den Verkauf auswirkt, zeigt der Erfolg von Skoda, heute der zweitgrößte deutsche Importeur nach Toyota. Ingenlath hat den Octavia II nicht gezeichnet, doch er hat als Design-Chef in Mladá Boleslav dafür gesorgt, dass die zuerst gezeichnete Autofront nicht verloren ging – und sich nach vielen anderen Versuchen doch durchsetzte. Heute sieht er die schöne Front des Octavia fast täglich – auf der Straße.

Doch auch beim Kreieren neuer Autos geht es ums Beschleunigen und ums Bremsen. Die Zahl der Modelle steigt stetig an, die Zahl der Mitarbeiter Ingenlaths nicht. „Die Geschwindigkeit ist stark gewachsen“, sagt er über den Stress in seinem Beruf. Doch der Entscheidungsprozess über das Aussehen eines neuen Autos, den Erkenntniszuwachs, kann man „nicht beliebig beschleunigen“.

Gelegentlich ist es sogar gut, einmal anzuhalten. Es ist halb 11 Uhr in Deutschland, seine Leute warten auf ihn in der großen Halle, wo die Volkswagen von morgen entstehen, doch Thomas Ingenlath lehnt sich zurück. Er will über das Bild reden an der Wand, ein Gemälde von Anja Ganster, die er kennt aus seiner Studienzeit in London. Später, als er es sich leisten konnte, hat er es sich gekauft – „Woman in Tube“. Es zeigt eine Londoner U-Bahn-Szene, gegenständliche expressionistische Kunst.

Es war ihm wichtig, nicht so ein riesiges Autobild zu haben. Er brauchte Erholung für die Augen, wollte nicht dem Klischee entsprechen, dass Leute seiner Zunft ein Ferrari-Modell auf dem Sideboard zu stehen haben. Das mehrheitlich in rosa gehaltene Bild ist „ein Anti-Bild“, sagt Thomas Ingenlath, der Gegensatz von dem, was sich der klassische Automobil-Liebhaber hinstellen würde. „Für mich ist Design interessant, das nicht per se den Liebhaber anspricht.“ Er mag den Charme, „der durch Benutzung kommt“, der „im Gebrauchsalltag entsteht“. „Patina“ reizt ihn und „Industrieromantik“. Er findet die Schönheit dort, wo andere Leute gar nicht hingucken.

Ingenlath will noch plaudern. „Was fahren Sie eigentlich für ein Auto?“

„Einen Citroen. Und Sie?“.

„Einen Golf“ sagt Ingenlath und ergänzt nach einem kurzen Moment, der so lang ist wie die Zeit, die Sean Connery braucht, um seinem „James“ das berühmte „James Bond“ folgen zu lassen: „GTI“.

Einen GTI zu fahren, den „Wolf im Schafspelz“, ist immer ein wenig erklärungsbedürftig. Auch bei Thomas Ingenlath. „Sie könnten einen Phaeton fahren “ „Sie überschätzen mein Gehalt“, sagt er. Ja, aber warum fährt ein Kunstliebhaber so ein – PS-Geschoss? „Ich klammere mich an einen jugendlichen Strohhalm, den ich noch nicht loslassen möchte.“ Er ist irritiert, mit 43 Jahren im Design Center schon zu den Senioren zu gehören. Im Haus arbeiten viele junge Designer.

Aber nein, Angst vor dem Altwerden hat er nicht. Das liegt auch daran, dass er jetzt erst erlebt, was seine Elterngeneration bereits mit 25 erlebte. Nächte durchmachen beispielsweise, wenn das Kind nicht schläft. Ingenlath hat eine kleine Tochter, die im Februar ein Geschwisterchen bekommt. Seine Frau fährt derzeit einen Skoda Roomster, „das Familienauto per se“. Doch nach dem zweiten Kind, vermutet Thomas Ingenlath, wird vor seinem Haus des Architekten Ludwig Ferdinand Hesse in der Bertinistraße, das Ingenlath sanieren lässt, ein Auto mit einem noch größeren Kofferraum stehen müssen. Gleich neben dem GTI.

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