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Flüchtlinge in Potsdam: Starthilfe

Der 72-jährige Potsdamer Ernst Cantner unterstützt Flüchtlinge bei der Suche nach Ausbildung und Studium. Warum er sich engagiert.

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Potsdam - Heute sind es keine Orchesterklänge, die den kleinen Friedenssaal der Potsdamer evangelischen Gemeinde wie sonst so oft ausfüllen. Es ist früher Samstagmittag – und was sich in den Räumen in der Schopenhauerstraße ausbreitet, sind orientalische Gerüche. Nach und nach füllt sich ein großer Tisch mit Speisen wie Tabulé, Schafskäse und Fladenbroten, mitgebracht von in Potsdam lebenden Geflüchteten. Sie sind mit ihren sogenannten Paten gekommen, ehrenamtlich tätigen Potsdamern, die sich um sie kümmern. Sie helfen den Syrern oder Kamerunern bei Behördengängen und bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle oder einem Studienplatz. „Heute sollen sich alle mal kennenlernen“, sagt Ernst Cantner, der gemeinsam mit der Friedenskirchengemeinde das Treffen organisiert hat.

Dass sich aktuell 20 Ehrenamtler für Flüchtlinge bei der Suche nach Ausbildung oder Studium engagieren, geht auf seine Initiative zurück. Als vor zwei Jahren im Zuge der Flüchtlingskrise auch in Potsdam immer mehr Asylsuchende untergebracht wurden, da habe er sich gedacht: „Jetzt muss ich etwas tun.“ Seit mehr als fünf Jahren bietet der 72-Jährige bereits ehrenamtlich Schülern und Studenten Berufsberatung an. Nichts habe deshalb näher gelegen, als diese Arbeit auf Flüchtlinge auszuweiten. „Eine Arbeit ist doch die Grundvoraussetzung für eine Integration“, sagt er.

Viele Qualifikationen werden in Deutschland nicht anerkannt

Vor seiner Rente war Cantner unter anderem im Agrarministerium für die berufliche Entwicklung junger Menschen zuständig. „Vielen fällt es sehr schwer, allein herauszufinden, was sie wollen.“ Auch bei den Flüchtlingen sei das so, selbst wenn sie bereits Ausbildung oder Studium aus ihrer Heimat mitbringen. Erschwerend käme hinzu, dass viele Qualifikationen in Deutschland nicht anerkannt würden. Mithilfe von persönlichen Gesprächen will Cantner herausfinden, welche Fähigkeiten und Kenntnisse jemand hat. Eignungstests sollen dabei helfen, eigene Begabungen kennenzulernen. Im zweiten Schritt übernimmt dann ein Pate die Betreuung und hilft bei Behördengängen und dem Bewerbungsprozedere – vorausgesetzt, der Flüchtling hat fortgeschrittene Deutschkenntnisse. „Sonst macht es keinen Sinn“, sagt Cantner.

Aktuell konzentriert sich seine Arbeit auf die rund 60 Flüchtlinge, die im Staudenhof leben. Durch Zufall habe er einen Flüchtling dort kennengelernt, so habe sich sein Hilfsprojekt ergeben. Bekannte und Freunde habe er schließlich nach und nach von seiner Arbeit überzeugen und Flüchtlingspaten anwerben können. Eine davon ist Janina Kürschner. Sie betreut eine junge Syrerin, die gerne Zahntechnikerin werden möchte, so wie ihre Mutter, die in ihrer Heimat eine eigene Praxis hatte. Doch einen Ausbildungsplatz zu finden, das sei schwierig. „Vor allem die Theorie ist für viele eine Herausforderung“, sagt sie. Die Anforderungen in Deutschland seien sehr hoch. Eine wichtige Aufgabe sei es deshalb, den Menschen vor allem Mut zu machen.

Aber Erfolge gebe es auch, ergänzt Cantner. So habe er etwa dem 30-jährigen George Mansour aus Syrien dabei geholfen, einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker zu finden. „Ich bin sehr glücklich darüber“, sagt der junge Mann. Schritt für Schritt wolle er die Ausbildung erfolgreich abschließen und dann da hingehen, wo er Arbeit bekäme, auch, wenn er dafür Potsdam verlassen müsse.

Dem Thema Flucht offener begegnen

Fragt man Cantner nach seiner Motivation, sich für Flüchtlinge in Potsdam zu engagieren, so blickt er auf seine im Rollstuhl sitzende 100-jährige Mutter, die ihn heute in den Friedenssaal begleitet hat. „Wir sind nach dem Krieg alleine aus Oberschlesien geflüchtet und mussten auch ganz neu anfangen.“ Über die Erlebnisse habe man damals nicht gesprochen, ein regelrechtes Tabu sei es gewesen. Heute hätten die Menschen dagegen die Chance, offener mit dem Thema Flucht umzugehen – und zu helfen. Der Bedarf an Paten sei jedenfalls nach wie vor groß: „Wir freuen uns über jeden, der mitmachen will.“ 

Andrea Lütkewitz

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