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Landeshauptstadt: Statt „feiner Geste“ besser Chefsessel-Besteigung

Wie in Potsdam mit Blumen, Power-Drinks, schönen und kritischen Worten der Internationale Frauentag gefeiert wurde

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Wie in Potsdam mit Blumen, Power-Drinks, schönen und kritischen Worten der Internationale Frauentag gefeiert wurde Von Hella Dittfeld und Kay Grimmer Da hatten sich Hans-Jürgen Scharfenberg und Ingo Korne was vorgenommen. Mit „einem Kofferraum voll Rosen“ tourten die PDS-Politiker am gestrigen Vormittag durch die Neubaugebiete, um Frauen zu ehren. Gut, es dürfte nicht für alle 62 859 weiblichen Geschöpfe der Landeshauptstadt gereicht haben, doch diejenigen, die den beiden „Rosenkavalieren“ über den Weg liefen, waren über die blumige Ehrung ziemlich überrascht. „Natürlich kenne ich den Frauentag“, entrüstet sich Rotraud Bischoff schon über die Frage. Mit einer gelb-roten Rose in der Hand, freute sie sich über die „feine Geste“ der beiden PDS-Politiker. Früher habe sie immer mit ihren Kolleginnen gemütlich gefeiert. „Gerade in der heutigen Zeit sollte man die Leistung der Frauen wieder mehr schätzen“, findet die Rentnerin. Ein Wunsch, den die meisten Frauen hatten und der auch zu Scharfenbergs Ansicht passt: „Gerade in dieser Gesellschaft ist es wichtig, Frauen zu würdigen. Auch vor dem Hintergrund, dass selbst Ministerpräsident Matthias Platzeck kürzlich erkannt hat, dass es mit der Gleichberechtigung noch Probleme gibt.“ Der vorbildliche Ehemann Scharfenberg hatte seiner Frau am gestrigen Morgen zum Ehrentag gratuliert, auch seine Kinder hätten daran gedacht. „Viel wichtiger ist jedoch, sich so zu benehmen, als wäre jeder Tag ein Frauentag.“ Und fügt hinzu: „Ich versuche, mich stets an diesen Vorsatz zu halten.“ Jeder Tag ein Frauentag Gleiches forderten die Geehrten in der Stadtverwaltung. Stadtoberhaupt Jann Jakobs hatte die Verwaltungsmitarbeiterinnen eingeladen, die Gewerkschaft Ver.di den Umtrunk organisiert. „Wessi“ Jakobs gab zu, diese Tradition erst im Osten kennen gelernt zu haben. „Aber nun bin ich schon ein paar Jahre hier und damit vertraut“, erklärt der Oberbürgermeister. Zuhause hatte er am Morgen seiner Frau Frühstück gemacht, die Blumen hatte er umsichtigerweise schon am Samstag besorgt. Seinen Mitarbeiterinnen gab er am gestrigen Tag den Kellner. Die, von der Betriebsgewerkschaftsgruppe organisierten, „Power-Drinks für Power-Frauen“ servierte er gekonnt am Kantinen-Sitzplatz. „Seine“ Frauen nahmen die ausnahmslos alkoholfreien Cocktails gern an. „Eine nette Idee“, sagt Verwaltungsmitarbeiterin Diana Freiberg. Ihre Kollegin Marianne Schneider ergänzt: „Nach dreizehn Jahren Pause wurde das aber auch mal Zeit.“ Beide loben ihre Ost-Kollegen, die am Vormittag mit Blumen und Pralinen gratulierten. „Die denken eben noch daran.“ Frauenpower, wenn es brennt Brandenburgs Sozial- und Frauenminister Günter Baaske hatte sich für seinen Frauentagsglückwunsch vier Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts ausgesucht, die sich immer dann zum Einsatz melden, wenn es irgendwo brennt. Einstimmige Aussage der Feuerwehr-Frauen: „Wir werden anerkannt und haben keine Probleme, uns in der Männerriege zu behaupten.“ Bei Angelika Fischer hören die Männer sogar aufs Wort. Zusammen mit zwei weiteren Kolleginnen und acht Männern tut sie Dienst in der Einsatzzentrale der Berufsfeuerwehr. Die gelernte Krankenschwester, die eine berufsspezifische Ausbildung nachgeholt hat, koordiniert die Einsätze von insgesamt 140 Berufsfeuerwehrleuten. „Wir könnten uns durchaus auch Frauen im praktischen Einsatz vorstellen“, meint Feuerwehrchef Wolfgang Hülsebeck. Zwei hätten es beinahe geschafft, sagt er, aber die sich bewerbenden Männer seien dann doch besser gewesen. Bei den Freiwilligen Feuerwehren Potsdams gibt es 400 Kameraden und 20 aktive Frauen. Doch davon hält es einige offenbar auch eher im technisch-praktischen Hinterland. Zwei der drei Frauen von der FFW Kleinmachnow, denen Baaske die Hand schüttelte, beteiligen sich zwar an Wettkämpfen, können auch Erste Hilfe leisten, bei einem Einsatz aber waren sie noch nie dabei. „Das sollen mal die Männer machen, wir sorgen lieber für ihr leibliches Wohl“, erklären Ursula Stahl und Dagmar Baronick übereinstimmend. Nur die junge kämpferische Sina Borchardt scheut den Einsatz nicht. War so viel Kämpfernatur dem Freund zu viel? Es sei aus, sagt sie vage und Baaske wundert sich, dass ein so hübsches Mädchen solo ist. Frauen auf den Chefsessel Frauen mit Quoten oder anderen Hilfsmitteln auf Chefsessel zu hieven, hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Nur acht Prozent der Positionen im deutschen Top-Management seien durch Frauen besetzt, erklärten der Landesverband Bündnis 90/Die Grünen und versuchte es gestern Nachmittag am Nauener Tor mit symbolträchtiger Chefsesselbesteigung. Die vorübereilenden Frauen zeigten allerdings wenig Interesse. Ihnen war es in der Höhe offenbar zu kalt. Eine 26-jährige Soziologiestudentin konnte sich allerdings gut vorstellen, dass sie im Wissenschaftsbereich die Erfolgsleiter erklimmt. Man müsse dafür immer noch verkrustete Denkstrukturen aufbrechen. Ohne eine familiäre Arbeitsteilung auch in der Kinderbetreuung könnten Frauen keine Karriere machen, meint sie. Das sieht Claudia Brade vom Landesvorstand der Grünen genau so: „Kaum ein Mann stellt die Gleichstellung der Frauen in Frage, aber gehandelt wird dann ganz anders.“ Als Beispiel nennt sie: In der Landesregierung wirken zu 60 Prozent Frauen, doch bei den Beamten des Höheren Dienstes sind es nur noch 9 Prozent. In der Stadtverwaltung scheint die Gleichberechtigung im Werden. Von den vier Beigeordneten sind drei Frauen, bei 15 Fachbereichen gibt es im Moment allerdings nur zwei Chefinnen und auch bei den Bereichen und Büros überwiegt die männliche Leitung. Von den 2096 Mitarbeitern der Stadtverwaltung sind jedoch weit über die Hälfte (1386) weiblich. Es kann also ruhig noch ein bisschen auf Chefsessel geklettert werden.

Hella Dittfeld, Kay Grimmer

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