
© Andreas Klaer
Landeshauptstadt: Steuben als Indianer-Lehrmeister
Gästeführerverein „Potsdam im Team“ schickte die Besucher am 1. April auf eine „Lügentour“
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Die Überraschung ist den Zuhörern anzusehen, als Gästeführerin Gabriele Fairon vor dem Steuben-Denkmal hinter dem Filmmuseum erklärt: „Friedrich Wilhelm August von Steuben war Festungsbauer und hat den nordamerikanischen Indianern beigebracht, wie sie ein Fort zur Verteidigung ausbauen müssen“.
„Wahr oder nicht wahr?“, fragt Fairon auf der Stadtwanderung am 1. April. Wie am Steuben-Denkmal tischt sie den Gästen an vielen Punkten faustdicke Lügen auf, manchmal auch Wahrheiten, und fordert dazu auf, zwischen Fantasie und Tatsachen zu entscheiden. Bei Steuben lassen sich die Gäste nicht hinters Licht führen. Sie wissen, was es mit dem Mann auf sich hatte: Steuben organisierte das amerikanische Heer im Unabhängigkeitskrieg der USA. Details zum Denkmal sind weniger allgemein bekannt. Es war ein Geschenk des USA-Kongresses an den Deutschen Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1911. Am historischen Platz steht es noch nicht: „Dort hinten, wo der grüne Baucontainer steht, da kommt es wieder hin“, deutet die Gästeführerin hinüber zum Bauplatz des Stadtschlosses. Das von Bildhauer Jäger geschaffene Denkmal sollte als „Wahrzeichen ununterbrochener Freundschaft“ zwischen dem deutschen und dem US-amerikanischen Volk dienen. Im Zweiten Weltkrieg durch Detonationen vom Sockel gestürzt, dann eingelagert und eingeschmolzen, nach der Wiedervereinigung neu hergestellt, ist es heute eine beliebte Sehenswürdigkeit.
Fairon vom Gästeführerverein „Potsdam im Team“ hatte sich einen Spaziergang ausgedacht, bei dem sie die Gäste in den April schickte. Sie müssen zwischen Lügen und historischer Wahrheit entscheiden. Was oft nicht einfach ist.
Eine der Stationen ist das Barockhaus am Neuen Markt 1. Die steinernen Balkonträger des Kabinetthauses, in dem Friedrich Wilhelm III. 1770 das Licht der Welt erblickte, stellen zwei starke Afrikaner dar. „Die hat der Kurfürst aus Westafrika importieren lassen, denn Brandenburg war eine Kolonialmacht“, behauptet Fairon. „Wahr oder nicht wahr?“, fragt sie und erzeugt Unsicherheit. Zaghaft heben die Gäste die ausgegebenen blauen Plastikkarten: „Nicht wahr.“
Doch Tatsache ist: Am 12. Juli 1682 brach eine Fregatte unter dem Kommando von Major Otto Friedrich von der Groeben zur westafrikanischen Goldküste auf, um dort brandenburgische Kolonien zu gründen. 40 Soldaten und Festungsingenieure waren an Bord. Am 27. Dezember 1683 betraten sie afrikanischen Boden. Und am 1. Januar 1683 hissten sie bei einem militärischen Zeremoniell die brandenburgische Flagge. Gold, Elfenbein, Pfeffer und Sklaven versprachen sich die Eroberer. Groß Friedrichsburg hieß die bis 1717 bestehende kurbrandenburgische Kolonie, die heute zu Ghana gehört. Die Festung Groß Friedrichsburg ist noch teilweise erhalten und wird touristisch vermarktet.
Gegenüber vom Kabinetthaus geht das April-Schwindeln weiter. Über dem Eckfenster der renommierten Gaststätte „Ratswaage“ schmücken drei „Glaskelche“ aus Sandstein die Fassade. Handelt es sich um das Firmenzeichen des Rubinglas-Erfinders Kunkel? Eine Lüge, bestätigt die Stadtführerin. Doch ein Stückchen weiter auf der Freifläche des Marktes kommt sie der Wahrheit scheinbar näher. „Der Neue Markt diente auch als Richtplatz“, behauptet sie. Das scheint glaubhaft. „Schauen Sie, über dem Tor die Quadriga, da sitzt der Leibkutscher Friedrichs II., Georg Pfund, auf dem Bock.“ Das glauben die Gäste. Dass der Kutscher den König samt Gefährt in den Sand setzte, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. Aber dass der König ihn dafür rädern und hinrichten ließ, glaubt niemand. „So eine dicke Lüge habe ich noch nicht gehört. Friedrich war zwar nicht fein, aber Rädern und Vierteilen, nee, nee...“ Zwar war der „große“ Friedrich mit seinem Kutscher nicht immer einer Meinung und hieß ihn wohl auch zur Strafe mit Eseln Knüppel und Mist fahren, doch am Ende sollen sie sich wieder einig gewesen sein.
In der Yorckstraße macht Gabriele Fairon Station an den rosafarbenen Häusern 12/13. „Sehen Sie die beiden Mädchenköpfe in den Schlusssteinen, tragen die nicht Pionier-Halstücher?“ Tatsächlich, das sieht ganz nach „Jungen Pionieren“ aus. Die Häuser waren im Krieg zerstört und sind in den 1950er Jahren wiederhergestellt worden. „Da hat die DDR Junge Pioniere verewigt“, meinen Gäste aus Bayern. Und Fairon lügt weiter: „Das war das erste Haus der Jungen Pioniere in Potsdam.“ In den April schicken lassen sich die Gäste indes nicht, als die Expertin von einem Ballonaufstieg des Fallschirm-Erfinders Pierre Blanc im Lustgarten erzählt oder ihnen weismachen will, dass die Alte Wache einst eine Hurenwirtschaft war.
Die Führung war eine originelle Idee, der indes das Schmuddelwetter einen Strich durch die Rechnung machte: Die Zahl der Teilnehmer war an einer Hand abzuzählen. Günter Schenke
Günter Schenke
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