Landeshauptstadt: Stockholm am Havelufer
Arno Neumann plante neues Stadtzentrum – doch 1946 setzte ein russischer Posten seinem Leben ein Ende
Stand:
Am 3. August 1946 peitschten Schüsse über die Lange Brücke. Sowjetische Posten feuerten auf den Dienstwagen von Arno Neumann. Der Potsdamer Stadtbaurat wurde tödlich getroffen. Die Hintergründe dieses tragischen Zwischenfalls wurden nie aufgeklärt – Potsdam aber verlor einen der fähigsten Stadtplaner, und mit ihm sanken seine Entwürfe und Ideen ins Grab.
Der 1892 geborene Babelsberger Architekt war wie andere Fachleute und Berufsbeamte, die „auch politisch im nationalsozialistischen Staat nie aktiv hervorgetreten waren“, am 3. Mai 1945 in den „Zehnerausschuss“ berufen worden, der unter Aufsicht des sowjetischen Stadtkommandanten Oberst Werin die Stadtgeschäfte führte. Mitte Mai wurde das SPD-Mitglied Dezernent für Wiederaufbau. Im Frühsommer 1946 überraschte Neumann die Potsdamer Öffentlichkeit mit der kühnen Aussage: „Worauf wir sehr stolz sind, dass wir in dieser Zeit (seit Frühherbst 1945) es geschafft haben, die Neuplanung der Stadt soweit durchzuführen, dass man sagen kann, die Planung steht.“
Wie sollte Arno Neumanns neues Potsdam aussehen? Nach Aussage seines Mitarbeiters, des Stadtarchitekten Reinhold Mohr, plante er „nicht nach historischen Gesichtspunkten, sondern rein nach den heutigen Bestrebungen“. Hitler habe „die Tradition Deutschlands so restlos vernichtet, dass es nutzlos wäre, dies, besonders was die hohenzollerische Periode betrifft, architektonisch wieder aufleben zu lassen“. Dennoch wollte Neumann den gewachsenen Stadtgrundriss nicht antasten. Auf seinen Entwürfen behalten sowohl das Stadtschloss wie auch die Garnisonkirche ihren Platz. Der Wiederaufbau der zerstörten Innenstadt sollte entlang der historischen Straßenzüge erfolgen, wie das dann ab 1953 in der Wilhelm-Staab-Straße auch gelang.
Die Entwürfe sahen vielmehr vor, das Zentrum aus der bisherigen Mitte in östliche Richtung zu verschieben und im stark kriegszerstörten Bereich Burgstraße, Heilig-Geist-Straße und Große Fischerstraße gänzlich neu zu errichten. In der Verlängerung der Türkstraße sollte über die Havel eine Brücke bis zur Babelsberger Rudolf-Breitscheid-Straße (Lindenstraße) geschlagen werden. Schon damals wollte Arno Neumann die Havel- und Nuthewiesen auf der Babelsberger Seite mit Drei- bis Fünfgeschossern besetzen. Auch an der Babelsberger Straße war eine Wohnbebauung mit einer Brücke über die Nuthemündung vorgesehen.
Neumanns neues Zentrum wäre ein „Klein-Stockholm“ geworden. Sein am Potsdamer Ufer direkt an der Havel platziertes monumentales neues Rathaus ähnelte mit seinem hoch aufragenden Turm stark dem von Ragnar Östberg zwischen 1911 und 1923 am Mälarsee im Stil eines Renaissanceschlosses errichteten Stadthaus der schwedischen Hauptstadt. Ebenfalls von einem Turm bekrönt war das an der Burgstraße vorgesehene riesige zentrale Verwaltungsgebäude. Sechsspurig sollte der Verkehr über die neue Brücke Richtung Babelsberg rollen. Dort setzte ein als gewaltiges Stadttor gestaltetes Gebäude einen städtebaulichen Abschluss. Dass das Tor auf der Babelsberger Seite geplant war, ist wahrscheinlich, aber nicht sicher, weil kein Lageplan zu den Entwürfen von Neumann aufgefunden wurde, so wie auch seine Personalakten nach der Erschießung des Stadtbaurates verschwunden sind.
Wie andere „Luftschlösser“ hätten Arno Neumanns Pläne für ein neues Zentrum erheblich in das Stadtbild eingegriffen. Einen Vorteil besaßen sie allerdings: Sie waren originell und unverwechselbar. Seinen Nachfolgern, die die Ideen der „Stadt am Wasser“ und der städtebaulichen Verbindung zwischen Potsdam und Babelsberg aufgriffen, kann man dies nicht bescheinigen. Die wassernahen „Wohnscheiben“ vielleicht ausgenommen, wurde der Bereich an der Burgstraße ab 1961 als Zentrum-Süd ebenso mit gestaltlosen Großblock- und Plattenbauten besetzt wie ab 1972 das dann 1986/87 komplettierte Zentrum-Ost, für das einer der beteiligten Architekten später auf das Westberliner Märkische Viertel als Vorbild verwies. Bejubelt wurden damals die mit 537 und 497 „Wohneinheiten“ größten Häuser Potsdams, die die Bevölkerung eines ganzen Dorfes aufnehmen konnten.
In den 90er Jahren blieben auch die Entwürfe des Architekten Prof.Hinrich Baller ein Luftschloss, dem Zentrum-Ost durch Wasserläufe, Teiche, Bootsanleger unter anderem das Gesicht einer „Wasserstadt zu geben.
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