Landeshauptstadt: Streiflichter einer vorsichtigen Reform
Noch ein Jahr: Wenig neue Rechtschreibung in Potsdam
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Noch ein Jahr: Wenig neue Rechtschreibung in Potsdam Man kann, man muss es als gute Nachricht aufnehmen, wenn Geschäftsnamen à la „Kalle“s Pommesbude“, „Moni“s Boutique“ und „Steffi“s Friseursalon“ seit der Einführung der neuen Rechtschreibung zur legitimen Ausnahme geadelt worden sind. Die bis 1998 falsche Benutzung eines Apostrophs im Genitiv ist nun erlaubt – „um die Grundform eines Namens zu verdeutlichen“, wie es im Duden heißt. Hämisch grinsen sie also jetzt, die Ladenschilder. Doch was da steht, lange falsch war und manchem Sprach- und Schriftgewandten Augen und Magen verdrehte, ist jetzt, laut Rechtschreibreform, richtig geschrieben. Am 1. August 2005 verliert die alte Rechtschreibung offiziell ihre Gültigkeit. Noch ein Jahr und dann gilt nach siebenjähriger Übergangsfrist nur noch die neue, in langwieriger, umstrittener Weise festgelegte Schreibweise. Doch die aktuelle Diskussion auf Bundesebene zeigt, dass die Widerstände wieder wachsen, dass sogar mittlerweile Großverlage, Zeitungen und Zeitschriften einen Schritt zurück gehen wollen. Und wie sieht es in Potsdam aus? Ein Streifzug durch die Stadt gibt eine recht eindeutige Antwort: Schneller als erwartet ist der erste Stein des Anstoßes entdeckt: „Ich muß draußen bleiben“ heißt es auf einem Hundeverbotsschild eines Mobilfunkgeschäftes. Im Laden selbst herrscht blankes Erstaunen: „Wieso sollte ich denn das Schild auswechseln?“, fragt der Besitzer wie ein einziges Fragezeichen hinter seiner Ladentheke. Den Hinweis auf die Rechtschreibreform und der Umwandlung vom „ß“ in ein Doppel-S hinter kurzen Vokalen wischt er aber bereits wieder mit unerschütterlicher Gelassenheit beiseite: „Ach so, nee – hält sich doch eh keiner dran und so verstehen tut“s auch jeder.“ Womit er ja gar nicht einmal Unrecht hat. Allerdings, ein paar halten sich dann doch an die neue Rechtschreibung – oder versuchen es zumindest. Wie das Modegeschäft im Zentrum, das im vorauseilenden Gehorsam mit einer fatalen Mischung aus gutem Willen und Nichtwissen sein Angebot von Maßkonfektion flugs in „Masskonfektion“ umwandelte. Echte, reine Ratlosigkeit macht sich langsam breit angesichts solcher Sinn entstellender Orthographieverwirrungen. Ratlos auch die Passantin, die, auf die Rechtschreibreform angesprochen, unsicher mit den Schultern zuckt. „Früher war ich ziemlich fit in Rechtschreibung. Aber wenn ich jetzt die Deutsch-Hausaufgaben meines Sohnes kontrollieren soll, muss ich passen. Das sieht für mich alles falsch aus. Und so hässlich.“ Hässlich ist es, falsch nicht. Nicht mehr. Was aber definitiv falsch ist, sind jene Wörter und Wortgebilde, die sich im Niemandsland zwischen alter und neuer Rechtschreibung angesiedelt haben und sich einer Zuordnung zu dieser oder jener konsequent verweigern. „Spargel Verkauf“? Unschön anglisierend. „Kaffee Sahne“? Das könnte als Aufzählung durchgehen – nur leider fehlt das Komma. Auch der Bindestrich ist scheinbar vom Aussterben bedroht – anders sind „Gratis Probestunde“ in Werbeannoncen und „Brandenburgisch Preußische Geschichte“ auf Hinweisschildern nicht zu erklären. „Fahrgastschiffahrt“ ohne neues drittes „F“ zeugt schließlich von einer Rechtschreibreform, die noch nicht einmal auf den Straßenschildern der Stadt angekommen ist. Gleiches gilt für die „Schloßstraße“. Und bei der Infotafel auf dem Parkplatz des Rathauses lässt sich auch mit größtem Großmut bei „Grösse“ eine gewisse Ignoranz nicht abstreiten. Was bleibt also nach einem langen und ernüchternden Spaziergang durch eine Stadt, in der an jeder Ecke orthographische Missverständnisse und Unsicherheiten lauern? Es bleibt der Eindruck, dass mit der neuen Regelung die die Unsicherheit und damit auch die Beliebigkeit gewachsen ist. Das Bild, das sich ein Jahr vor der verbindlichen Gültigkeit der neuen Rechtschreibung für Schulen und Behörden von der Rechtschreibreform abzeichnet, ist das Bild einer Reform, die keiner scheinbar wirklich will, viele nur in Ansätzen kennen, kaum einer wirklich verstehen und daher auch keiner umsetzt. Bis auf die Apostrophbenutzer. Doch die hatten ja schon lange vor der Rechtschreibreform geschrieben, wie sie es für richtig hielten.
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