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35 Jahre lang hieß die Brandenburger Klement-Gottwald-Straße.

© Nestor Bachmann

Von Erhart Hohenstein: Streit um alten Namen

Leser der „BNN“ setzten 1990 Rückbenennung der Klement-Gottwald-Straße durch

Stand:

„Wir haben die ,Brandenburger’ wieder“, verkündeten die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten (BNN) am 6. Februar 1990 auf ihrer Titelseite. Die PNN-Vorgängerin kündigten für den 9. Februar „die längst überfällige Rückbenennung unserer Brandenburger Straße“ an. An diesem Vormittag exakt vor 20 Jahren ist die Straße schwarz vor Menschen, als das Potsdamer Orchester der Volkspolizei von der Friedrich-Ebert- Straße zum Brandenburger Tor defiliert. Hier übergibt Dirigent Peter Brünsing den Taktstock an einen ganz besonderen Gast: den 87-jährigen Berliner Gustav Büchsenschütz. Er dirigiert sein 1923 komponiertes Wanderlied „Märkische Heide“, das inzwischen nicht ganz unumstritten ist. Bekanntlich wurde Büchsenschütz eine gewisse Nähe zum Nazi-Regime attestiert, er selbst hatte sein Lied 1934 als „Lied der nationalsozialistischen Bewegung“ gepriesen.

Doch von derlei Überlegungen ist man in der Euphorie jenes 9. Februar 1990 noch weit entfernt. Augenzeugen sehen eine stimmungsvolle Feier. Redakteurin Karin Markert dankt den BNN-Lesern, die in fast 300 Briefen die Umbenennung unterstützt hatten. Sie bringt symbolisch das erste Straßenschild mit dem wiedergewonnenen Namen an. Der Stellvertreter des Oberbürgermeister für Inneres, Heinz Müller (SED), verkündet offiziell die Umbenennung, die „den Aktivitäten der BNN“ zu verdanken sei. Über die Versuche des Rates der Stadt, die Umbenennung zu sabotieren und hinauszuzögern, verliert er kein Wort. Schon am 28. Oktober 1989 hatten die BNN unter der Überschrift „Wieder traditionsreiche Brandenburger Straße?“ zur Leserdiskussion aufgerufen. Der Aufruf war mit „Felicitas“ unterschrieben und stammte von Karin Markert, die mit ihrem Ehemann, dem Gerichtsmediziner Kurt Markert, die Idee zu der Umbenennung hatte. Die Aktion wurde von der Redaktionsleitung akzeptiert. Bereits am 2. November 1989 erschienen die ersten, fast ausnahmslos zustimmenden Leserbriefe, deren Zahl rasch auf fast 300 emporschnellte. Am 14. November übergab Markert 297 Leserzuschriften an Stadtrat Müller.

Ein Echo blieb trotz mehrerer Nachfragen zunächst aus. Doch die Mauer war inzwischen gefallen, die alten Kämpen des Stalinismus standen nicht mehr allzu hoch im Kurs. Auch Klement Gottwald nicht. Nach ihm war die Straße 1955 während einer Woche der deutsch-tschechoslowakischen Freundschaft benannt worden. Der KP-Chef und spätere Staatspräsident des Nachbarlandes war 1953 gestorben. Leser Ingo Netzel wies in einem offenen Brief, der auszugsweise in den BNN veröffentlicht wurde, auf die Untaten Gottwalds hin, der für die stalinistische Verfolgung und Ermordung Tausender Andersdenkender in der damaligen CSR verantwortlich war, darunter der Führer der Demokratischen Partei der Slowakei und der Gruppe um den KP-Funktionär Rudolf Slánský. Bei der Rückbenennung ging es also nicht allein um den angestammten, seit Mitte des 18. Jahrhunderts bezeugten Namen Brandenburger Straße, sondern auch um eine überfällige politische Entscheidung.

Markert hatte derweil mit Beiträgen wie „Potsdams ratsherrliche Ignoranz. Warum es immer noch keine Brandenburger Straße gibt“ den Rat der Stadt weiter unter Druck gesetzt. Als dann unter Leitung des Kulturstadtrates Dieter Paciepny eine Arbeitsgruppe mit den Stadthistorikern Horst Geisler, Hartmut Knitter, Klaus Arlt und Gebhard Falk eingesetzt wurde, schloss man die Presse von den Beratungen aus. Am 28. Dezember 1989 erging ein Schreiben an die BNN, die Brandenburger Straße erhalte ihren alten, verbürgten Namen zurück. Kein Wort allerdings, dass die Umbenennung wegen der Verbrechen Gottwalds auch politisch dringlich erforderlich war.

Erhart Hohenstein

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