Homepage: Studium auf dem Flur
An der Universität Potsdam ist es im Wintersemester voll geworden / Mit 16 500 Studierenden Grenze erreicht
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An der Universität Potsdam ist es im Wintersemester voll geworden / Mit 16 500 Studierenden Grenze erreicht Von Dirk Becker Wer nicht aufpasst, der kann an der Potsdamer Universität schnell über Studenten stolpern. Etwa wenn man an der Historischen Fakultät am Neuen Palais zu spät in ein Seminar kommt. Schnell die große, schwere Holztür aufgedrückt, die Treppe hoch und im Laufschritt die letzten Meter über den Flur. Dann rechts in den kleinen Vorraum und schon ist man da. Doch wer mit zu viel Schwung um die Ecke kommt, der kann eine böse Überraschung erleben. Denn in Potsdam sitzen die Studierenden manchmal sogar auf dem Flur, weil die Seminarräume dem Ansturm nicht mehr gewachsen sind. Seminare mit bis zu 100 Teilnehmern, Studenten, die die Nacht vor ihrer Fakultät verbringen, um sich am nächsten Morgen einen Platz in den Pflichtveranstaltungen zu sichern, die auf 20 oder 30 Teilnehmer begrenzt sind. In Golm wird in Räumen gelehrt, deren Sanierung längst überfällig ist. In Griebnitzsee wurde ein beheiztes Zelt aufgestellt, weil die Mensa seit dem Bau des Hasso-Plattner-Instituts dem Studentenandrang nicht mehr gewachsen ist. In vielen Fachbereichen, vor allem den Geisteswissenschaften, platzt die Universität Potsdam, sprichwörtlich aus allen Nähten. Ursprünglich für 10 000 konzipiert, waren im Wintersemester knapp 16 500 Studenten immatrikuliert. Gibt es also zu viele Studierende an der Uni Potsdam? Dem widersprechen Martin Bär und Peer Jürgens vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Im europäischen Durchschnitt beginnen etwa 40 Prozent eines Abiturjahrgangs mit einem Studium. In Deutschland seien es gerade einmal 30 Prozent. Auch wenn durch die überfüllten Universitäten in ganz Deutschland der Eindruck entstehe, dass es zu viele Studenten gäbe, ist das Gegenteil der Fall. Auf der einen Seite würden die Politiker mehr Studenten fordern und eine Verbesserung der Bildung, gerade wegen des schlechten Abschneidens bei der PISA-Studie. Auf der anderen Seite gäbe es ein „Streichkonzert“ bei der Finanzierung der Universitäten. „Das ist doch schizophren“, meint Jürgens. So erwecke die „unsägliche Diskussion“ um Eliteuniversitäten den Eindruck, dass nur von den eigentlichen Problemen abgelenkt werden solle. 250 Millionen Euro für fünf Universitäten, die mit dem Prädikat „Elite“ versehen werden sollen. Diese Summe sei eigentlich lächerlich. Aber, so Bär, die Politik denke oft nicht weiter als bis zur nächsten Wahl. Die Betroffenen, Studenten wie Dozenten, werden kaum oder gar nicht gefragt und seien auf Eigeninitiative angewiesen. Sabine Kropp, die zur Zeit die Professur Regierungssystem BRD/Innenpolitik im Fachbereich Politikwissenschaften vertritt, stand im vergangenen Sommersemester vor über 60 Studierenden, die ihr Seminar besuchen wollten. An eine, für sie und die Studenten befriedigende Veranstaltung war nicht zu denken. So teilte sie das Seminar, einmal von 18 bis 20 Uhr und dann von 20 bis 22 Uhr. Zwar eine freiwillig Mehrbelastung, die auch andere Dozenten auf sich nehmen, die sich aber ausgezahlt habe. „In einer kleineren Gruppe können besser Diskussionen entstehen. Hier sind Studenten eher motiviert, sich einzubringen“, erklärt sie. Entschieden tritt sie dem Eindruck entgegen, dass trotz der vielen Studenten keine gute Lehre mehr möglich sei. Sie erlebe immer wieder sehr gute und anspruchsvolle Seminare, in denen sich die Studenten hoch motiviert einbringen. Eine andere, eher unschöne Form der Eigeninitiative seitens der Universität, sind die „versteckten Studiengebühren“, wie sie Peer Jürgens bezeichnet. Für bestimmte Sprachkurse müssen zwischen 25 und 30 Euro pro Semester gezahlt werden. An der Viadrina in Frankfurt/Oder müssten sogar schon bis zu 95 Euro für Kurse gezahlt werden, selbst für bestimmte Pflichtveranstaltungen. Acht Millionen Euro Defizit weise derzeit der Haushalt der Universität auf, so Pressesprecherin Janny Glaesmer. Fehlendes Geld, das sich bei der nur spärlich bestückten Bibliothek und fehlenden Neuanschaffungen für Labore bemerkbar mache. So müsse die Universität in den nächsten Jahren flexibel bleiben, um der finanziell schwierigen Situation begegnen zu können. Doch sie hofft, dass die, vom Land Brandenburg kürzlich beschlossene verstärkte Förderung von Hochschulen und Wissenschaft, ein langfristiges Projekt ist und die Universität nicht mit weiteren Kürzungen rechnen müsse. Trotz der angespannten finanziellen Lage sei man bemüht, die Studienbedingungen ständig zu verbessern. So sind die Musikwissenschaftler erst kürzlich in ein saniertes und modern eingerichtetes Gebäude gezogen. Und auch andere Gebäude in Golm sollen in den kommenden Jahren saniert werden. Doch wo das Geld fehlt, sind keine großen Sprünge möglich. Bei der Frage, warum die Universität mit über 16 000 Studenten offensichtlich überbelegt ist, gibt man sich auf offizieller Seite zurückhaltend. Eine unzureichende Abgängerquote, die unter den derzeitigen Bedingungen mit Sicherheit nicht verbessert werden kann; Studienabbrecher – deutschlandweit etwa 40 Prozent – die bei den Neuimmatrikulationen schon mit einkalkuliert werden und andere Faktoren dürften hier ausschlaggebend sein. Für die Studenten, die während mancher Seminare auf den Fluren sitzen, heißt dies wohl, dass sich erst einmal kaum etwas ändern wird. Derartige Studienbedingungen, die eigentlich nur Ausnahmefälle sein sollten, sind in einigen Fakultäten fast schon zur Normalität geworden.
Dirk Becker
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