Von Alexander Warmuth: Stürmische Sonne
Potsdamer Astrophysiker sind Magnetstürmen, Sonnenflecken und auch Wolken auf unserem Gestirn auf der Spur
Stand:
Im Jahr der Astronomie berichten Potsdamer Astrophysiker regelmäßig in den PNN von ihren liebsten Himmelskörpern.
1. September 1859: Der wohlhabende englische Brauereibesitzer und Amateurastronom Richard Carrington richtet wie jeden sonnigen Tag das Teleskop seiner Privatsternwarte auf die Sonne. Er projiziert das Sonnenbild auf einen Papierschirm und beginnt, die Sonnenflecken zu zeichnen. Plötzlich sieht er etwas, was kein Mensch je zuvor beobachtet hatte: in einem riesigen Sonnenfleck leuchten plötzlich zwei gleißend helle Bänder auf. Sie strahlen deutlich intensiver als die ungestörte Sonnenoberfläche und sind binnen weniger Minuten wieder verschwunden.
Am nächsten Tag werden überall besonders helle Nordlichter beobachtet, selbst aus so südlich gelegenen Gegenden wie Kuba und Hawaii, wo Polarlichter sonst nie zu sehen sind. Auch die damalige „Hochtechnologie“ spielt verrückt: weltweit brechen die Telegrafennetze zusammen, Telegrafisten erhalten Stromschläge und Funken entzünden die zur Registrierung der Morsesignale benutzten Papierstreifen. Carrington erfährt, dass sowohl während der von ihm beobachteten Leuchterscheinung als auch während des nächsten Tages starke Schwankungen des Erdmagnetfeldes beobachtet wurden. Er vermutet, dass dieser „Magnetsturm“ und die Polarlichter von dem Helligkeitsausbruch auf der Sonne ausgelöst wurden.
Damals konnte sich diese Meinung nicht durchsetzen, da kein physikalischer Mechanismus bekannt war, der einen so starken Einfluss der Sonne auf das Erdmagnetfeld erlauben würde. Heute wissen wir allerdings, dass Carrington Recht hatte: unsere Sonne ist ein veränderlicher Stern, dessen Aktivität einen großen Einfluss auf die Erde hat.
Carrington hatte einen „Weißlicht-Flare“ beobachtet, eine magnetische Explosion auf der Sonne. Bei Flares (englisch für Fackeln) handelt es sich um Strahlungsausbrüche, bei denen innerhalb von wenigen Minuten soviel Energie freigesetzt wird wie von einer Milliarde Wasserstoffbomben. Nur die stärksten Flares sind im weißen Licht zu sehen, normalerweise nur mit speziellen Filtern.
Flares spielen sich vor allem in der Korona der Sonne ab, der heißen äußeren Atmosphärenschicht, die vom Erdboden aus nur während Sonnenfinsternissen zu sehen ist. Im Ultravioletten und im Röntgenbereich hingegen ist die Korona heller als die mit freiem Auge sichtbare Sonnenscheibe und kann daher ständig beobachtet werden. Da kurzwellige Strahlung von der Erdatmosphäre verschluckt wird, ist dies allerdings nur vom Weltraum aus möglich. Beispielsweise wurde mit dem NASA-Satelliten Rhessi festgestellt, dass in Flares Materie auf Temperaturen von bis zu 40 Millionen Grad erhitzt wird. Verantwortlich dafür sind elektrisch geladene Teilchen, die in der Korona fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden und dann durch Stöße das umliegende Gas aufheizen. Die dazu nötige Energie kommt aus den Magnetfeldern der Sonne, die bis zu tausendmal so stark wie das Erdmagnetfeld sind. Sie verursachen auch die Sonnenflecken.
Die Sonne schickt uns aber nicht nur elektromagnetische Strahlung. Es gibt Wolken relativ dichten Gases, die durch Magnetfelder in der Korona gehalten werden – die Protuberanzen. Solche Protuberanzen können instabil werden und ausbrechen. Werden große Teile der Korona mitgerissen und mit über 1000 Kilometern pro Sekunde in den Weltraum hinausgeschleudert, spricht man von koronalen Massenauswürfen.
Trifft so eine Gaswolke auf das Erdmagnetfeld, so verformt sie es stark. So wie auf der Sonne führt auch bei der Erde ein veränderliches Magnetfeld zur Beschleunigung von geladenen Teilchen und zum Aufbau elektrischer Spannungen. Die schnellen Teilchen werden von den Magnetfeldlinien zu den Polen geleitet, tauchen dort in die Atmosphäre ein und regen Luftmoleküle zum Leuchten an – ein Polarlicht entsteht.
Sonneneruptionen und Polarlichter sind faszinierende Naturschauspiele, allerdings mit einer dunklen Seite. Die kurzwellige Strahlung der Sonne beeinflusst die Hochatmosphäre der Erde und kann dadurch den Kurzwellenfunkverkehr stören. Die während eines Magnetsturmes auftretenden Spannungen können zum Zusammenbruch von ganzen Stromnetzen führen. Die empfindliche Elektronik von Satelliten wird durch Teilchenschauer gestört und kann irreparabel beschädigt werden. Dies verursacht einen wirtschaftlichen Schaden von hunderten Millionen Euro. Für Astronauten stellen solche Teilchenstürme eine starke Strahlenbelastung dar.
Unsere technische Zivilisation ist zunehmend auf im Weltraum stationierte Systeme wie beispielsweise die Satellitennavigation angewiesen, die gegenüber den Einflüssen des „Weltraumwetters“ besonders verwundbar sind. Daher gibt es verstärkt Bemühungen, Sonneneruptionen und Weltraumwetter vorherzusagen. Leider verstehen wir das Weltraumwetter noch längst nicht so gut wie unser irdisches Wetter.
Schon bald aber werden wir sogar zur Sonne fliegen. 2017 soll eine Raumsonde der europäische Weltraumagentur ESA bis auf ein Fünftel des Abstandes Sonne-Erde an die Sonne heranfliegen, um sie dann aus der Nähe untersuchen zu können. Das Astrophysikalische Institut Potsdam wird sich dabei an der Konstruktion zweier Messinstrumente beteiligen.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe „Solare Radiophysik“ am Astrophysikalischen Institut Potsdam.
Alexander Warmuth
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: