Homepage: „Suche nach absoluter Schönheit“
Gravitationsphysiker Hermann Nicolai über die Weltformel, die Kirche und das göttliche Prinzip
Stand:
Herr Professor Nicolai, Sie wollen eines der letzten Geheimnisse der Welt lüften?
Physiker träumen schon seit langem davon, die gesamte Beschreibung der Welt – im Großen wie im Kleinsten – in eine einzige Formel hineinzupacken. Die prominentesten waren Einstein und Heisenberg, der den Begriff „Weltformel“ überhaupt erst ins Gespräch brachte. Beide sind daran gescheitert. Aus heutiger Sicht ist es fast offensichtlich, dass diese Versuche scheitern mussten, denn Einstein hat die ganze subnukleare Physik – die Kernkräfte – ignoriert, während Heisenberg die Gravitation außer Acht ließ.
Wo liegt das Problem?
Die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie passen in ihrer gegenwärtigen Form nicht zusammen. Seit rund 40 Jahren wird mit den verschiedensten Ansätzen versucht, die beiden Theorien unter einen Hut zu bringen, bislang ohne wirklichen Erfolg. Aber das kann auch daran liegen, dass es Phänomene gibt, etwa neue Kräfte und Elementarteilchen, von denen wir noch nichts wissen, und ohne deren Einbeziehung es gar nicht möglich ist, zu einer Vereinheitlichung zu kommen.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, dass Gott vielleicht gar nicht will, dass der Mensch herausfindet, was die Welt im Innersten zusammenhält?
Ich würde es nicht auf Gott personalisieren. In der Tat stellt sich aber die Frage, ob letztlich nicht ein Element der NichtBerechenbarkeit alle unsere Versuche, eine vereinheitlichte Theorie zu konstruieren, vereiteln könnte. Die moderne Physik kann sich bis auf Bruchteile von Sekunden dem Urknall nähern. Wir haben ein ziemlich genaues Bild davon, was kurz nach dem Urknall geschah, wie das Universum expandierte und abkühlte, wie sich die chemischen Elemente bildeten, wie Galaxien entstanden und sich über das Weltall verteilten, und so weiter. Dennoch könnte es sein, dass die mathematische Beschreibung in der Nähe der Urknallsingularität so kompliziert wird, dass es zum Schluss gar nicht möglich ist, den Punkt Null wirklich zu erreichen. Darin liegt ein Aspekt der Unendlichkeit.
Sie sprechen aus eigener Erfahrung?
Tatsächlich arbeite ich selbst gerade an einem Modell mit einer einzigartigen mathematischen Symmetrie – eine sogenannte hyperbolische KacMoody Algebra mit dem Namen „E10“ –, die so kompliziert ist, dass man ihre Struktur möglicherweise nie ganz erfassen kann, andererseits aber vieles von dem zusammenfasst, was wir in 30 Jahren Superstring-Theorie gelernt haben. In der Mathematik gibt es Gebilde, die man mit relativ einfachen Regeln erzeugen kann, die aber beliebig kompliziert werden. Ein Beispiel dafür sind die Mandelbrot-Mengen, die sich grafisch als endlose Schneckenmuster schön darstellen lassen. Die algebraische Struktur, an der ich arbeite, verhält sich ähnlich, und auch ihr kann man eine gewisse Schönheit nicht absprechen.
Die Physik hat heute viele Erklärungen für den Aufbau der Welt.
Es gibt verschiedene Ansätze. Zum Beispiel die Theorie des inflationären Universums, der zufolge sich das Universum unmittelbar nach dem Urknall extrem rasch – exponentiell – ausgedehnt hat. Das führt fast zwangsläufig zur Idee des Multiversums, in welchem unser Universum wie in einem brodelnden Kochtopf nur als winzige Blase neben unzähligen anderen Universen parallel existieren könnte. In dieser Theorie wäre das Multiversum schon immer da gewesen, mit einem ewigen Entstehen und Vergehen von Einzeluniversen. Unser Modell unterscheidet sich von diesem und ähnlichen Ansätzen dadurch, dass man eben nicht durch den Urknall hindurch laufen kann, sondern dass wir uns gewissermaßen endlos einem unerreichbaren Endpunkt nähern. Raum und Zeit selbst wären dann erst mit dem Urknall entstanden. Ganz unabhängig von religiösen Fragen sehe ich, dass da möglicherweise etwas ist, an das ich mathematisch nicht herankomme und das außerhalb dessen liegt, was wir überhaupt verstehen und erfassen können.
Vielleicht wäre es auch falsch, wenn die Menschen herausfinden würden, wie alles letztlich zusammenhängt?
Ich gebe Ihnen Recht, tatsächlich wäre der ganze Spaß vorbei, wenn ich morgen die Formel hätte. Aber das ist wohl eher ein psychologisches Problem.
Lässt ihre Forschungsarbeit Raum für einen göttlichen Schöpfer?
Schon Einstein wollte, wie er sich ausdrückte, „dem Alten“ auf die Schliche kommen und hat sich immer wieder auf das Göttliche bezogen, etwa wenn er in seiner Kritik der Quantentheorie davon spricht, dass Gott nicht würfelt. Er dachte nicht an einen personalen Gott, aber an ein göttliches Prinzip, im Sinne einer pantheistischen Weltauffassung, die das „Göttliche“ in allen Erscheinungen sieht. Wie schon gesagt, könnte es durchaus eine Ebene geben, für die unser Verständnis nicht ausreicht. Mein Hund kann einen Ball fangen und so zumindest ein intuitives Verständnis für die Newtonsche Mechanik entwickeln, aber die Quantentheorie kann ich ihm nicht beibringen.
Da ist also etwas?
Die Frage bleibt, wieso die Natur überhaupt mathematisch beschreibbar ist. Es ist höchst erstaunlich, dass dies von subatomaren Abständen bis an die Grenzen des sichtbaren Universums so hervorragend funktioniert. Das ist es vielleicht, was Einstein an ein göttliches Prinzip glauben ließ.
Glauben Sie an Gott?
In dieser nichtpersonalisierten Form schon. Es ist ja auch interessant, das viele Religionen jede bildliche personalisierte Darstellung von Gott verbieten. Denn Gott wird durch jedes konkrete Abbild – etwa als Opa mit weißem Bart – „berechenbar“ und damit trivialisiert.
Vielleicht ist die Formel, die Sie suchen, gerade diese Darstellung?
Man hat durchaus das Gefühl, der Sache einen kleinen Schritt näher zu kommen, wenn plötzlich in einer Rechnung, die vorher noch niemand versucht hat, etwas genau zusammenpasst. Dann merkt man, dass man vielleicht eine kleine Facette vom Ganzen eingefangen und verstanden hat. So gesehen wäre die gesuchte Weltformel vielleicht schon so eine Art göttliches Prinzip.
Wie sehen Sie den Aufbau der Welt?
Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Prinzipien der Naturwissenschaften einfach zufällig und aus dem Nichts entstanden sein sollen. Das gilt meines Erachtens ebenso für die Biologie: auch hinter dem evolutionären Prozess liegt ein Prinzip. Wie intelligentes Leben in seiner Komplexität entstanden ist, ist 150 Jahre nach Darwin immer noch ein großes Rätsel. Wenn man von den Parametern, die unsere Existenz möglich machen, auch nur einen ein klein wenig verändert, geht gar nichts mehr. Und die Wahrscheinlichkeit, dass beim Auswürfeln dieser Parameter gerade unser Universum herauskommt, ist extrem winzig. Ebenso rätselhaft ist, warum die Entropie des Universums am Beginn so unvorstellbar klein war, denn nur so lässt sich die Existenz komplexer lebender Strukturen in Einklang bringen mit dem Gesetz vom steten Anwachsen der Entropie. Ob jemand die relevanten Variablen genau eingestellt hat, oder ob sich deren Werte „anthropisch“ im Rahmen einer MultiversumsTheorie erklären lassen, darüber ist zurzeit insbesondere unter Stringtheoretikern eine heftige Debatte entbrannt.
Multiversen, Pantheismus und elf Dimensionen: Ihre Erkenntnisse dürften das religiöse Weltbild der christlichen Kirchen ins Wanken bringen?
Seit Galileis Zeiten haftet der katholischen Kirche das Image der Wissenschaftsfeindlichkeit an, selbst wenn sie heute klüger mit der Wissenschaft umgeht und auch offener geworden ist – so gehören der Vatikanischen Akademie meines Wissens nach inzwischen auch bekennende Atheisten an. Offiziell sehen die Kirchen die Naturwissenschaft und das Religiöse als getrennte Bereiche der menschlichen Erfahrung, und aus dieser Perspektive sollten sie dann auch kein Problem mit der möglichen Elfdimensionalität der Welt haben. Bei den Fragen, mit denen wir uns hier beschäftigen, lassen sich allerdings diese beiden Sphären nicht immer so einfach voneinander trennen.
Gehen Sie in die Kirche?
Nur zu großen christlichen Festen und zu Konzerten. Für die Rituale, aus denen Gottesdienste zu einem guten Teil ja bestehen, bin ich wenig empfänglich. Den Zugang zum Transzendentalen finde ich dann schon eher bei Bach und Mozart. Und da können wir uns vielleicht treffen: auch als Physiker sind wir auf der Suche nach der absoluten Schönheit, so wie wir sie etwa in den Einstein’schen Gleichungen verkörpert finden.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: