Landeshauptstadt: Tag und Nacht braust der Verkehr
Doch die Kleingärtner von „Nuthestrand I“ geben die grüne Oase an der Schnellstraße nicht auf
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Doch die Kleingärtner von „Nuthestrand I“ geben die grüne Oase an der Schnellstraße nicht auf Drei breite Hauptwege führen in die Kleingartenanlage Nuthestrand I – doch sie enden schon nach wenigen Metern. Solch ein Aufwand für nur 24 Parzellen? Der Vereinsvorsitzende Helmut Salzwedel kann das erklären: Einst erstreckte sich hier draußen, wo der Mitteldamm auf die Fritz-Zubeil-Straße stößt, in Richtung Nuthe eines der großen Babelsberger Kleingartenparadiese mit 120 Pächtern. Dann aber kam in den 70er Jahren der Bau der Nutheschnellstraße, der zunächst 60 grüne Oasen in ein Betonband verwandelte. Wenige Jahre später, nun wurde eine Fernheizleitung verlegt, mussten noch einmal fast 30 daran glauben. Auch der Festplatz verschwand, so dass seitdem im geschrumpften „Nuthestrand“ kein Spartenfest mehr gefeiert werden kann. Als nach der „Wende“ die Fritz-Zubeil-Straße ausgebaut wurde und sich hier ein Autohaus und andere Gewerbebetriebe ansiedelten, gaben weitere drei Pächter entnervt auf. Obwohl er erst seit 1995 Vereinsvorsitzender ist, kann Helmut Salzwedel diese eher traurige Entwicklung detailreich schildern. Er hat seinen Garten nämlich von Schwiegervater Richard Radtke übernommen, der ihn 1939 gepachtet hatte. Damit gehörte er fast zu den Gründervätern des Vereins, der fünf Jahre zuvor gebildet worden war. Wie an manch anderer Babelsberger Ecke waren es Arbeiter, Arbeitslose und Geringverdienende, die im Kleingarten Erholung suchten, vor allem aber durch den Obst- und Gemüseanbau ihren kargen Speisezettel bereichern wollten. „Eine soziale Zusammensetzung, wie wir sie heute wieder erreicht haben“, kommentiert Salzwedel. Wie findig die Vereinsmitglieder damals waren, demonstriert er an seinem Schwiegervater. Der hatte ein Stück der Wiese gepachtet, die die Gartenanlage von der Nuthe trennte, und holte von dort Gras und Heu für seine Kaninchen. „Sogar einige Schweine wurden in den Gärten gehalten“, weiß Helmut Salzwedel. Nördlich der Fritz-Zubeil-Straße lagen seinerzeit Rieselfelder. Auch davon pachteten manche Vereinsmitglieder ein Stück, zogen auf dem fruchtbaren Boden Riesenkohlrabi und Spargel heran. Außerdem wuchsen Hunderte Birnbäume hier. Seit den 90er Jahren sind in den Gebiet weitere Kleingartenanlagen verloren gegangen. Bekanntlich will die Stadt hier angeblich dringend benötigte Gewerbeflächen entwickeln. Getan hat sich bisher kaum etwas. Die geräumten Kleingärten veröden und verwandeln sich nach und nach in illegale Müllkippen. Für „Nuthestrand“ ist ein zweites Problem hinzugekommen. Tag und Nacht braust der Verkehr über die Nutheschnellstraße, und auch in der Fritz-Zubeil-Straße hat er zugenommen. Die Lärmbelastung ist erheblich, und so muss man sich wundern, dass die Kleingärtner unbeirrt aushalten. Sogar die Tradition der Tierhaltung wurde wieder aufgefrischt. Dafür sorgt neuerdings der aus Portugal gekommene Luis Berto Rebeiro Paiao, der hier Enten und Hühner hält. Der Vereinsvorsitzende hat wenig Sorgen mit den Mitgliedern, die sich kaum einmal streiten und treulich das gesetzlich geforderte Gartendrittel mit Obst und Gemüse bestellen. Verantwortung zu tragen ist der 66-Jährige gewöhnt. In den 50er Jahren war er als Torwart Rückhalt der Babelsberger Oberligaelf, beruflich später Betriebsdirektor des VEB Rohrleitungsbau Ludwigsfelde. Noch heute ist Helmut Salzwedel Vorstandsvorsitzender einer Babelsberger Wohnungsgenossenschaft. Ein Ruheständler, der im Unruhestand lebt.
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