Potsdamer Kulturschaffende feiern gemeinsam: Tanz durch die Nacht
Die „Stadt für eine Nacht“ in der Schiffbauergasse regte zum Nachdenken über Potsdam an: Es gab Theater, Literatur, viel Musik – und die Hoffnung, mit dem Fest dauerhaft mehr Menschen an den Kulturstandort zu locken
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Fast schwebend bewegten sich die Tänzer in fließenden Bewegungen über das Dach der „fabrik“. Zu den Klängen von rhythmischer Loungemusik schienen sie sich ihre eigene Welt zu erobern, fernab vom Trubel der Menschenmengen unter ihnen. Damit schenkten Shang-Chi Sun und Annapaola Leso den Besuchern des Festes „Stadt für eine Nacht“ eine von vielen künstlerischen Auszeiten, die sie in eine andere Welt entführte.
Das fünfte Mal öffnete die Schiffbauergasse am vergangenen Wochenende von 14 bis 14 Uhr ihre Pforten für 24 Stunden. Dabei bot sie zahlreichen Kulturschaffenden eine Plattform und gab verschiedensten Potsdamer Einrichtungen und Veranstaltern die Gelegenheit, sich den Besuchern vorzustellen. Aus vielen kleinen Hütten, sogenannten Raumkörpern, bildete sich eine Stadt in der Stadt, die sich mit Wissenschaft, Architektur, Kultur und vor allem immer wieder mit Potsdams Entwicklung auseinandersetzte. „Das ist genau der Gedanke von Stadt für eine Nacht, sagte Tobias Wellemeyer, Intendant des Hans Otto Theaters (HOT). „Menschen können hier zusammenkommen, gemeinsam über die Stadt nachdenken und das alles auf einer so wunderbar persönlichen, entspannten Ebene.“
Für die laut Veranstalter rund 25 000 Besucher ergaben sich dabei viele Möglichkeiten, ihr Stadtbild auszudrücken: So lud der Schriftgestalter Friedrich Althausen sie ein, eigene Buchstaben zu gestalten, die am Ende die Potsdam-Schrift bilden sollten. Eine Gelegenheit, die SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs bei seinem Rundgang gleich nutzte. Er gestaltete ein „J“ nach seinen Vorstellungen. Für ihn sei „Stadt für eine Nacht“ eine wichtige Veranstaltung, die sich positiv auf den Kulturstandort Schiffbauergasse auswirke, sagte er. „Die Vielfältigkeit der Angebote vor Ort wird hier noch mal deutlich“, so Jakobs. „Und das Fest lockt natürlich auch viele Berliner her, die diesen Raum positiv für sich entdecken.“
Mit zahlreichen Angeboten wie dem „Open-Air-Kinosommer“, der „Whatsart Workshopwoche“ oder dem Literaturfestival „Lit.Potsdam“ wird nun auch die Sommerpause in der Schiffbauergasse beendet. Damit soll ein regelmäßigerer Besucherverkehr erreicht werden. „Mit rund 350 000 Besuchern pro Jahr sieht es schon sehr gut aus“, sagte HOT-Intendant Wellemeyer. „Aber die Wintermonate sind immer noch ein Problem.“ Ein vielfältigeres Gastronomieangebot könnte dabei helfen, mehr regelmäßige Besucher anzulocken, wie er sagte. Auch mehr junge Künstler auf dem Gelände anzusiedeln, wäre hilfreich. Dabei liegt die Hoffnung in dem Ausbau der ehemaligen Husarenkaserne an der Berliner Straße. Das Gebäude gehört der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA) und wird noch bis 2019 von der Bundespolizei genutzt. Die Stadt befinde sich derzeit in Verhandlungen um die Räume für Ateliers und Bandproben, wie Jakobs bestätigte.
Um junge Kultur und Stadtentwicklung ging es am Wochenende auch beim Potsdamer Produzenten Greg Dhilla. Mit Unterstützung der Produzenten Francisco Camufingo und Mars Madness sowie des DJs Chryz Bee gab er Besuchern in der „Taktart Lounge“ die Möglichkeit, ihren eigenen Potsdam-Sound zu kreieren. Aus Straßenbahngeräuschen oder Barockmusik konnten eigene Beats geschaffen werden. „Wir hatten hier echt rund um die Uhr volles Haus“, sagte Nelli Nickel, Pressesprecherin von „Taktart“. „Manche kamen sogar mehrmals, das war cool.“ Genau wie die Produzenten hielt sie 24 Stunden die Stellung und war euphorisch bis zum Schluss. „Es war einfach super, wir haben bis um 6 Uhr morgens Musik gemacht, das hat uns wach gehalten“, erzählte sie am Sonntag. „Dazu Kaffee und eine bequeme Couch, da macht so eine Nacht einfach Spaß.“
Ein ganz anderes musikalisches Erlebnis bot das Jazz- und Song-Programm „Ever is over all“ von HOT-Schauspielerin Andrea Thelemann und Musiker Markus Klossek. Klassiker wie „I can’t stand the rain“ oder „Time after time“ wurden wunderbar neu interpretiert und berührten die Zuhörer sichtlich. Eine Frau wischte sich verstohlen eine Träne von der Wange. „Es war einfach wunderschön“, sagte sie. „Allein diese Stimme und die Jazz-Arrangements, toll.“ Für Theaterliebhaber bot unter anderem das Theater „Grotest Maru“ mit seiner Darstellung von Kleists „Michael Kohlhaas“ ein visuelles Erlebnis. Bunte Kostüme, Stelzen und starke darstellerische Leistungen ließen die Besucher in eine vergangene Zeit des Straßentheaters abtauchen.
Am Abend strömten die Tanzverrückten auf das Gelände. Unter einem leuchtendem Vollmond konnten sie unter anderem bei „Tanz auf dem Kahn“ im Theaterschiff zu Oldies die Hüften schwingen. „Das war einfach klasse“, sagte eine 25-jährige Potsdamerin. „Ich habe die ganze Nacht durchgetanzt.“ Am Sonntagmittag war sie immer noch vor Ort und schaute den Tangopaaren auf der Seebühne zu.
HOT-Intendant Wellemeyer war ebenfalls sehr zufrieden: „Es war eine wunderbare Stimmung, die Leute sind ins Gespräch gekommen, genauso sollte es sein.“ Gemeinsam mit Dramaturgin Nadja Hess habe er die ganze Nacht durchgehalten. Beide waren sich einig: Der Sonnenaufgang über dem Tiefen See entlohne für alle Müdigkeit. „Das hätten Sie mal sehen sollen“, schwärmte Hess. „Man sah noch den Mond und daneben dieser leuchtende Sonnenball, herrlich.“
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