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Landeshauptstadt: Teamgeist bei den „Physikern“

Probebühne fürs Leben: Was Schüler des Espengrund-Gymnasiums beim Theaterspielen lernen

Ein bisschen „Starrummel“ auf dem Schulhof. Gratulationen von allen Seiten. Staunen bei den Lehrern, Stolz bei den Eltern. Die jungen Leute spüren, sie haben etwas Besonderes vollbracht, und das kurz vor dem Abitur. Drei Abende spielten Schüler der 13. Klasse des Espengrund-Gymnasiums vor ausverkauftem Haus Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“. Freunde, Mitschüler, Verwandte und Unbekannte feierten die Aufführungen im „Schaufenster“ der Fachhochschule mit Beifallsstürmen. Und auch die Kritik sparte nicht mit Lob: „Weite Gänge, schöne Gesten, originelle Einfälle prägten die flüssige Aufführung zum Ergötzen des Publikums“, schrieb der PNN-Kritiker Gerold Paul. Nun aber ist der Applaus verklungen. Was bleibt von der Inszenierung? Was von der Truppe, die schon bald in alle Himmelsrichtungen auseinanderlaufen wird? Wie viel nehmen die Gymnasiasten mit von der Probebühne ins „richtige“ Leben?

„Schüler, die Theater spielen, treten selbstbewusster auf, können sich besser artikulieren und gut im Team arbeiten“, beobachtet Elke Gerth, Lehrerin für Darstellendes Spiel, die bei den „Physikern“ erstmals Regie führte. Keine klassische Regie, eher die fachliche Betreuung eines von den Schülern selbst initiierten und gemeinsam durchgestandenen Prozesses. Von der Stückwahl bis zur letzten Requisite haben sie sich um alles gekümmert: den Raum organisiert, Programme gedruckt, Eintrittskarten verkauft, Kostüme entworfen, Licht und Ton besorgt. Auch wenn das neben der eigentlichen Probenarbeit und dem nicht unerheblichen Lernpensum vor dem Abitur oft an die Grenze der Belastbarkeit ging, so hat es die Gruppe doch zusammengeschweißt. Selten, sagt Elke Gerth, habe sie solchen Teamgeist erlebt. Die Schüler hätten Verantwortung übernommen, Konflikte gelöst und die Nerven aufreibende Anspannung vor der Premiere bravourös gemeistert.

„Ein positiver Stress“, findet Helene Barkmann, die im Stück die energische Oberschwester Martha Boll gibt. „Man arbeitet ja auf ein Ziel hin. Und dann fällt alles von einem ab. Man fühlt sich stolz und beinahe erholt.“ Zwischendurch aber habe sie manchmal ihre Zweifel gehabt. Mit Grauen erinnert sie sich an eine Probe Anfang Januar in einem dunklen, stickigen Klassenzimmer. Nichts wollte klappen, die Körperspannung war weg, die Aussprache schlecht. Was längst einstudiert war, schien wieder vergessen. Dazu der Zeitdruck, die Angst zu versagen. Krisensituationen wie diese, jeder Profi am Theater kennt sie, müssen bewältigt werden. Wer das durchsteht, gewinnt an Stärke.

Für Elke Gerth sind solche Effekte des Schülertheaters die entscheidenden. Sicher ist da die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Stoff, die spielerische Interpretation literarischer Texte, die so im Deutschunterricht kaum gelingen kann. Im Vordergrund aber steht für sie, dass sich die Jugendlichen ihrer selbst bewusst werden, auf andere eingehen und sich mitteilen können, über die Sprache, aber eben auch über Mimik und Gestik. „Wenn wir in der 11. Klasse mit Masken arbeiten, glauben manche Schüler, sich dahinter verstecken zu können. Tatsächlich aber verrät sie die Sprache ihres Körpers. Letztlich müssen sie auch lernen mit Kritik umzugehen, sich selbst zu beobachten und zu kontrollieren.“

Stefan Miess, als schrulliger Einstein einer der Physiker, meint, offener und souveräner geworden zu sein. „Ich nehme nicht mehr alles so persönlich, kann mich auf andere Charaktere besser einstellen.“ Seiner Mitschülerin Beatrice Loske, die gleich in mehreren Rollen ihren Facettenreichtum ausspielte, half das Theater, Schüchternheit zu überwinden. Wie sie liebt es auch Stephan Gadow, losgelöst vom normalen Leben in eine imaginäre Welt einzutauchen. „Auf der Bühne kann man sein, wer man will, kann laut sprechen und auch mal schreien“, so wie in seiner Rolle als Inspektor.

Was hier wie die spielerische Flucht aus der eigenen, möglicherweise belastenden Situation aussieht, ist in Wirklichkeit die Fähigkeit, sich in die Rolle eines anderen hineinzuversetzen, sich in dessen Lage einzufühlen. Nichts Geringeres als Empathie, eine der wichtigsten Voraussetzungen will man mit anderen Menschen erfolgreich kommunizieren und Probleme lösen. Eben diese Sozialkompetenzen sind es, die die jungen Theaterspieler mit hinaus ins Berufsleben nehmen, egal ob sie Lehrer oder Ärzte werden, Handwerker, Techniker oder Schauspieler, so wie Stefan Miess, der während der Proben auch noch für einen Fernsehfilm vor der Kamera stand.

Vorerst muss die 13. Klasse aber fürs Abitur pauken. Und da nützt es ganz und gar nichts zu schauspielern. Auch auf freies Improvisieren werden sich die gestrengen Prüfer nicht einlassen. Einen Vorteil können die Schüler dennoch ausspielen, weiß Elke Gerth. Über Jahre hat sie beobachtet, dass „ihre Schauspieler“ mit der Stresssituation in den mündlichen Prüfungen souverän umgehen, auf den Punkt konzentriert sind und laut und deutlich sprechen. Eine gute Ausgangsposition für die Bühne des Lebens.

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