Landeshauptstadt: Teurer Prozess
Was das Verfahren im Fall Ermyas M. gekostet hat
Stand:
Zusammengerechnet hat es niemand, was das bundesweit Aufsehen erregende Verfahren um die Attacke auf Ermyas M. in Potsdam gekostet hat. Über ein Jahr verging zwischen dem lebensgefährlichen Faustschlag auf den Deutsch-Äthiopier am 16. April 2006 und den Freisprüchen für die beiden Angeklagten vor einem Monat. Dazwischen lagen monatelange Ermittlungen, teure Hubschrauberflüge mit den Beschuldigten zum Haftrichter nach Karlsruhe, 20 Verhandlungstage, rund 80 Zeugen und acht Sachverständige. Aus Justizkreisen ist zu erfahren, dass alles zusammen die Staatskasse mit einem „mittleren sechsstelligen Eurobetrag“ belasten dürfte.
Auch die Haftentschädigung für die beiden Männer, die sich wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung vor dem Potsdamer Landgericht verantworten mussten, schlägt zu Buche. Pro Hafttag erhalten sie nach Auskunft von Anwalt Karsten Beckmann elf Euro – und sein Mandant, der damalige Hauptbeschuldigte, saß rund fünf Monate, der Mitangeklagte etwa einen Monat in Untersuchungshaft.
„Die Kostentreiber sind jedoch die Gutachter“, betont Beckmann. Aus dem „Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen“ geht hervor, dass diese je nach Honorargruppe zwischen 50 und 95 Euro pro Stunde bekommen. „Allein im vergangenen Jahr hat das Land für Sachverständige und Dolmetscher an Land- und Amtsgerichten 24 Millionen Euro ausgegeben“, erläutert der Sprecher des Potsdamer Justizministeriums, Thomas Melzer. Die Entschädigung für die ehrenamtlichen Richter, die Schöffen, machten sich da mit rund 665 000 Euro recht bescheiden aus.
Für Zeugen – sie bekommen unter anderem Fahrgeld und Arbeitsausfall bezahlt – flossen im vergangenen Jahr aus der Staatskasse 2,14 Millionen Euro. Werden Angeklagte verurteilt, haben sie die Kosten des Verfahrens zu tragen, wobei sie jedoch nicht die Richter und Schöffen bezahlen müssen. „Angesichts der finanziellen Lage der meisten Verurteilten muss aber auch in diesen Fällen die Staatskasse einspringen“, betont Melzer.
Die Anwälte im Fall Ermyas M. können sich allesamt ebenfalls nicht zu den gesamten Verfahrenskosten äußern. Verteidiger Beckmann meint aber: „Die Anwaltskosten sind im Vergleich zu den Gesamtkosten Peanuts.“ Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, schließlich ermittelte zunächst die Bundesanwaltschaft wegen versuchten Mordes aus Ausländerhass. Gefesselt und mit Augenbinden und Ohrenschützern waren die beiden Verdächtigen wenige Tage nach der Tat per Hubschrauber zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen worden. Über diese Kosten will zwar die Bundesanwaltschaft, die laut Potsdamer Justizministerium die Rechnung übernahm, keine Auskunft erteilen. Aber nach Angaben des Bundesinnenministeriums liegen die reinen Betriebskosten für die bei der Bundespolizei eingesetzten Hubschrauber – je nach Typ – pro Flugstunde zwischen knapp 967 Euro und fast 2500 Euro.
Der Nebenkläger in dem Verfahren, der dunkelhäutige Ermyas M., muss laut seinem Anwalt die Kosten selbst tragen. „Ein Großteil kam durch Spenden zusammen“, sagt Thomas Zippel. Der Angriff, nach dem Ermyas M. wochenlang mit dem Tode rang, bleibt zumindest vorerst ungesühnt. Die Staatsanwaltschaft hatte nach den rechtskräftigen Freisprüchen am 15. Juni verkündet, dass es neue Ermittlungen „nur bei schlüssigen Ansätzen“ geben werde. Imke Hendrich
Imke Hendrich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: