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Landeshauptstadt: Theater oder Technik-Event?

„Hölderlin als Stunt-Show“, 2.7.

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„Hölderlin als Stunt-Show“, 2.7.

Der Kritiker verfährt nach einer simplen Methode: Such dir ein Reizwort, einen schönen Knalleffekt und versuche alles in diesem Schema unterzubringen. Zu diesem Zweck werden die Proportionen verschoben, was nicht ins Bild passt, ignoriert. Fast ein Drittel des Artikels verwendet der Rezensent auf die Schilderung der Eingangssituation und diese ist, nach seinem eigenen Urteil kein Selbstzweck, sondern ein „starkes, Mut forderndes Bild“. Nicht mit einer dicken Seilwinde gesichert, wie der Kritiker schreibt, – weil es so gut klingt – sondern mit der üblichen Ausrüstung des Fassadenkletterers, in einem sehr ruhigen Tempo, Text sprechend, steigt der Darsteller in etwa drei Minuten herab. Es ertönt eine kontemplative Musik des Komponisten Georg Friedrich Haas. Mit diesen drei Minuten des Abends hat es sein Bewenden mit jedweder Aktion, die etwas zirzensisches oder stunthaftes hätte, wenn dieser Vergleich überhaupt bemüht werden muss. Jedoch hatte sich der Kritiker zuvor schon auf die Bezeichnung „starkes Bild“ festgelegt – eine andere ästhetische Kategorie als die eines Stunts. Bilder muss man lesen, deuten, entfalten, will man darüber schreiben. Der Kritiker hat aber eine andere Strategie beschlossen, die schreibökonomische Leitlinie des Knalleffekts, gewissermaßen der Stunt des Journalisten. Der Kritiker sieht eine entfesselte Technik Im Innenhof des Gasometers gibt es eine kleine Arbeitsbühne von etwa zweimal vier Metern, die im ganzen Stück einmal ein Meter hinauf und einmal wieder hinunter gefahren wird. Gegenüber der technischen Bühnen-Ausstattung, kommt die Inszenierung mit elementarsten Mitteln aus. Beziehungslos zum Stückablauf wird dem behaupteten Technikevent das Auftauchen eines Pianos im Bühnenfahrstuhl, Projektionen und das Sich-Einfädeln-Müssen des Darstellers in vermeintliche Sicherheitsriemen auf dem Rondell als Voraussetzung, um von dort „Verse“ herab rufen zu können, subsumiert. Nein, da ist nichts gefährlich, keine Sicherheitsriemen, da steckt etwas anderes dahinter. Messerscharf wird dann gefolgert, „das alles geht auf Kosten des Urtextes und seiner ziemlich vertrackten Bedeutung“. Was schadet dem Urtext, Pianos in Öffnungen, Sicherheitsriemen und so weiter? Davon lässt sich ein Urtext – in seiner Eigenschaft ein Denkmal deutscher Dichtkunst zu sein – nicht vom Sockel rücken. Für den Theaterabend aber, könnte es von nutzen sein, dass Piano als Flügel zu identifizieren, dem ein sinnvolles „Utensil“ beigegeben ist – nämlich ein Pianist.

Dieser Herr vermag über leise Schönheit und ätherische Qualitäten sicher mehr zu vermitteln, als papiernes Geschwätz. Wenn man da aber von einer eingebildeten Technikshow völlig beansprucht wird, müssen natürlich die feinen Töne unbemerkt bleiben.

Man kann dem Kritiker nur gute Besserung wünschen.

Gunnar Conrad,

Regisseur Hans Otto Theater

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