Landeshauptstadt: Tinte im Blut
Stefan Lehmann ist Deutschlands bester Nachwuchstätowierer
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Stefan Lehmann ist Deutschlands bester Nachwuchstätowierer Etwas müde und mit einer Zigarette in der Hand sitzt Stefan „Lemme“ Lehmann am Montag morgen auf einer rustikalen Bank vor dem „Body Temple“ im Holländischen Viertel. Tags zuvor noch war der 28-jährige Tätowierer auf einer großen Tätowiermesse in Kiel, heute sitzt er schon wieder in seinem Studio und nimmt sein Tagwerk auf. Zu den vielen Zeichnungen und Tattooentwürfen an den Wänden hat sich seit Kiel auch ein Pokal gesellt: Stefan Lehmann ist Deutschlands bester Nachwuchskünstler. Das jedenfalls entschieden die Leser des renommierten „Tätowiermagazins“. Der Potsdamer setzte sich in zwei Runden gegen mehr als einhundert andere Tattookünstler durch. Mit einem verschnörkelten Tribalmotiv und einer opulenten Beintätowierung konnte er die Leser für sich gewinnen. Neben einem Artikel in der Juni-Ausgabe des Fachblattes wurde er auf der „3. Internationalen Tattoo Convention Kiel“ einem breiten Publikum vorgestellt. „Es war sehr lustig, aber auch stressig“, sagt er lächelnd. „Ich habe dort das erste Mal vor einem großen Publikum tätowiert. Das steigert die eigene Popularität natürlich ungemein.“ Mit dem Malen und Zeichnen hat Stefan Lehmann früh begonnen. Das ist nicht verwunderlich, denn mit einer Mutter als Malerin, einem Vater als Ingenieur und Bauzeichner und einem Großvater als Architekten hat er gewissermaßen die Tinte schon im Blut. Langsam erwachte auch die Neugier für Tätowierungen, die darin gipfelte, dass er sich gegen den väterlichen Willen als 16-Jähriger ein Tattoo stechen lassen wollte. Dazu gab es einen traurigen Hintergrund - ein guter Freund war gestorben. Zum Gedenken an ihn wollte sich Lehmann einen Totenkopf in Mumienform unter die Haut ritzen lassen. Zwei Jahre später konnte er den Plan in die Tat umsetzen. Seitdem hat er seinen Körper immer mehr verziert. „Meine Tattoos sind große zusammengesetzte Flächen“, erzählt er und entblößt illustrierend seinen rechten, reichlich tätowierten Arm. „Ich liebe es eher dezent, ich bin ja auch ein brauner Hauttyp.“ Schwarz- graue Schattierungen mit etwas Grün oder Rot als Farbtupfer vereinen sich auf seiner Haut zu Motiven unterschiedlicher Coleur. Einen festen Tätowierer habe er dabei genauso wenig gehabt, wie eine feste Stilrichtung. Vor dem Alter fürchtet er sich nicht: „Die Tattoos sind ein Teil von mir, ich lebe mit ihnen und bin mit ihnen verwachsen.“ Wenn schon alt und faltig, dann lieber bunt und faltig. Da Lehmann zu Wendezeiten vorerst keine Ausbildung zum Tätowierer finanzieren konnte, erlernte er den Dachdeckerberuf, leistete seine Zivildienst und wurde Rettungssanitäter. Im Herbst 2001 sein erste Tätowiermaschine in die Hände. Ein befreundeter Tätowierer war verreist. Noch am selben Abend, an dem er die Maschine erhielt, tobte sich Lehmann an seinem rechten Bein aus. „So etwas sollte man eigentlich nicht machen, da man beim Tätowieren die Haut immer straff halten muss“, gesteht der Rechtshänder verschmitzt. Aber wenn man erst den Unterarm zwischen die Schenkel gespannt hat, ist auch dieses Problem gelöst. Doch Stefan Lehmann merkte bald, dass er ohne das nötige Know-How an seine Grenzen stieß. Also suchte er sich einen Mentor und fand ihn in einem Berliner Studio. Dort erlernte er die handwerkliche Seite des Metiers: Nadeln löten, Farbenlehre, korrekte Platzierung, Maschine aufbauen und wie diese funktioniert. „Man kann die Zeit dort aber nicht mit einer normalen Lehre vergleichen“, sagt er. Man suche sich jemanden, dem man den ganzen Tag über die Schulter schauen könne. „Das lassen aber die wenigsten zu.“ Andere Potsdamer Tätowierer kennt er nicht persönlich. Bloß weil man die Nadel bedient, ist man nicht automatisch Teil einer „großen Familie“. „Doch wenn du einmal drinnen bist, lernst du natürlich viele Leute kennen“, sagt er. Lehmann sticht alles, was der Kunde wünscht. Auch ausgefallene grellbunte Motive. Ein Koch ließ sich einmal einen Totenkopf mit einem Spiegelei auf dem Schädel, von jeweils einem Salz- und Pfefferstreuer als Engel und Teufel flankiert, stechen. „Am meisten Spaß hab ich natürlich, wenn mir der Kunde voll und ganz die Freiheit in der Umsetzung lässt“, sagt er wieder lächelnd. Seit etwa anderthalb Jahren ist er jetzt im „Body Temple“ und tätowiert dort Tür an Tür mit seiner Lebensgefährtin Katharina Herbst, der Besitzerin des Geschäfts. Patrick Steller
Patrick Steller
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