DICHTER Dran: Töchter des Kalten Krieges
Dieses Jahr habe ich viel Werbung für Potsdam im Ausland gemacht. Die Schweizer sprangen auf den weiten Himmel an, die Schweden auf die barocke Innenstadt, die Australier wollten Sanssouci an ihren Strand verlegen, die Amerikaner auch.
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Dieses Jahr habe ich viel Werbung für Potsdam im Ausland gemacht. Die Schweizer sprangen auf den weiten Himmel an, die Schweden auf die barocke Innenstadt, die Australier wollten Sanssouci an ihren Strand verlegen, die Amerikaner auch.
Bei einem Abendessen in Nottingham erzählte ich von meinem Studium in Golm: Wie ich hinter einem Schlagbaum in den Betten von Stasi-Offizieren geschlafen hatte, die hier einst in operativer Psychologie unterrichtet worden waren. Ich wollte gerade in einem schönen erzählerischen Bogen das Gestern mit dem Heute verbinden und zu den Stasispitzeln im Potsdamer Landtag überleiten, als es still wurde überm beef pie.
In Deutschland hat diese Anekdote kaum noch Zug, so dass ich jedes Mal übertreibe. Ich lasse zwei graue Haare in einer noch intakten Wanze zwischen Bettgestell und Matratze klemmen, baue Fettflecke am Kopfende ein und frage dann, ob das mittlerweile ausgemusterte Mobiliar bei den auf neue Politik eingeschworenen alten IMs zu Hause im Wintergarten steht. Die Belohnung ist ein müdes Lächeln. In Nottingham übertraf die Wirkung alles. Das ganze Jahr hatte ich keine so gute Resonanz.
Schlechter wurde nur mein Image am Dinnertable. Als wäre der Stasi-Offiziersschweiß in all den Studentennächten durch meine Poren eingesickert und würde noch jahrelang wieder aus mir herausdünsten, rückte man angeekelt von mir ab. Als wären ich und der unbekannte Bettvorgänger eins; die Botschafterin, die mit der Nachricht verwechselt wird. Aber vermutlich hatten sie recht. Wer in einem solchen Bett hatte schlafen können, war mit Schuld an so einem Wahlergebnis. Das verschwieg ich, um mir den Plumpudding nicht zu versauen.
Eine Doktorandin wollte mich allerdings unbedingt übertreffen. Ihr Vater hatte als Spezialist in der britischen Waffenentwicklung ferngesteuertes Gerät gebaut, das möglichst viele Menschen halb zerfetzte. Ganz töten sollten diese effizienten Waffen nicht, damit der Feind statt zu kämpfen seine Schwerverletzten bergen musste. Fast stolz schob sie den Löffel ins Dessert.
Unsere Autorin Antje Ràvic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.
Antje Ràvic Strubel
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