Von Anja Priewe: Tod macht Arbeit
Vier FH-Studentinnen beschäftigen sich in einer Ausstellung mit Berufen, die täglich mit dem Tod konfrontieren
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Die Linie auf dem grauen EKG-Monitor zeigte keinen Ausschlag mehr an. Der Patient war tot. In diesem Augenblick standen Birte, Isabelle, Laura und Lisa zufällig dabei. Für die vier Studentinnen der Fachhochschule Potsdam eine Grenzerfahrung. Später als die Krankenschwester auf der Intensivstation den Verstorbenen von den Apparaten befreite, befanden sich die vier Mädchen bereits auf dem Heimweg. Stumm liefen sie nebeneinander her. „Zum ersten Mal erlebte ich, wie in meiner Gegenwart ein Mensch starb. Da kamen schon Zweifel auf, ob es richtig ist, was wir hier tun“, sagt die Studentin Birte Hoffmann mit leiser Stimme.
Im Rahmen einer Projektarbeit ihres Diplomstudiengangs Kulturarbeit begleiteten die vier Studentinnen über ein Jahr Menschen, die in ihrem Beruf täglich mit dem Tod konfrontiert sind. Darunter eine Krankenschwester, ein Trauerredner, Polizisten der Mordkommission, Hospizmitarbeiter, Notfallseelsorger und Altenpflegerinnen – sie alle erzählten in teilweise sehr intimen Gesprächen von ihren persönlichen Erlebnissen im Umgang mit dem Tod.
Sechzehn einfühlsame Interviews sind dabei entstanden. Zu hören sind diese ab 6. Juni im Waschhaus in Potsdam. Szenische Fotos und Portraitaufnahmen, die die Menschen in ihrem Arbeitsalltag zeigen, visualisieren die Ausstellung. Auf einem ist Wolfgang Mattig, Pathologe am Brandenburgischen Landesinstitut für Rechtsmedizin, zu sehen. Er steht vor einer Tafel in einem weiß gekachelten Raum. Hinter ihm eine massive Liege aus kühlem Stahl. An der Wand hängt ein Lichtkasten für die Röntgenbilder der Toten. Ein weiteres Foto zeigt Mattig im Porträt – ein Mann mittleren Alters mit einem sympathischen Lachen.
Eines widerlegten die Gespräche deutlich: die vielfach geäußerte Annahme, dass die Menschen angesichts der Vergänglichkeit des Lebens traurig, ja sogar depressiv sein müssen. Gegenteiliges war der Fall: „Wir trafen auf Menschen, die eine unglaubliche Lebenslust ausstrahlten und so viel Freude in sich trugen“, erzählt Isabelle von der Reith.
Die positive Einstellung der Interviewpartner zum Leben übertrug sich auch auf das Projekt. „Als ich Isabelle zufällig in der Mensa traf und sie mir voller Begeisterung von den ersten Begegnungen erzählte, wusste ich, dass es richtig war, die Studentinnen mit diesem Projekt betraut zu haben“, sagt der Betreuer Prof. Hermann Voesgen. Anfänglich hatte er Zweifel: „In meinem Umfeld gab es viele Kritiker. Sie verstanden nicht, warum ich jungen Menschen ein so prekäres Thema zumute.“
Die Begegnungen, die Birte, Isabelle, Laura und Lisa im vergangenen Jahr gemacht haben, möchte keine von ihnen missen. „Natürlich bekamen wir viele tragische Geschichten zu hören“, sagt Isabelle von der Reith. So waren insbesondere die Gespräche mit der Verkehrspolizei emotional sehr aufwühlend. „Die Konfrontation mit dem Tod geschieht bei ihnen oft plötzlich und ohne Vorwarnung“, weiß Isabelle. „Ein Polizist berichtete von dem Selbstmord einer Mutter, die mit ihrer dreijährigen Tochter aus dem 14. Stock eines Hochhauses sprang. Der Fall hat sich bis heute tief in sein Gedächtnis eingebrannt“, erzählt sie.
Trotz der teilweise enormen psychischen Belastung bereute keiner der Interviewten seine Berufswahl. Alle hatten eine solche Freude am Leben, vielleicht gerade deshalb, weil sie mit der Vergänglichkeit des Lebens täglich konfrontiert wurden“, erzählt die 24-jährige Laura Martin. Ihre Kommilitonen stimmen ihr zu. In eindrücklicher Erinnerung blieb den Studentinnen vor allem die Arbeit der Altenpflegerinnen: „Die Frauen hatten soviel positive Energie, strahlten, trotz ihrer schweren Arbeit, eine enorme Kraft aus.“
Die audiovisuelle Ausstellung im Waschhaus wagt den Blick hinter die Kulissen. Sie thematisiert einen Lebensbereich, der in unserer Gesellschaft viel zu oft hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die Interviews zeigen, dass der Tod kein Tabu sein muss.
Die Ausstellung „Tod macht Arbeit“ ist vom 6. bis 21. Juni im Waschhaus, Schiffbauergasse 6, zu sehen. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr und Samstag bis Sonntag von 11 bis 14 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos.
Anja Priewe
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