FRIEDHOFSVERBOT: Todsünde Selbstmord Fazit Freitod
21 Potsdamer starben 2005 durch Selbstmord, heute am 12. September ist Welt-Suizid-Präventionstag
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Vom Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhunderte durften Selbstmörder nicht in geweihter Erde begraben werden, da ihre Tat als Todsünde galt. Sie erhielten einen Platz außerhalb der kirchlichen Friedhofsmauern – so auch in Potsdam. Laut Stadthistoriker Klaus Arlt haben sich diese alten Begräbnisstätten nicht erhalten. Am Alten und am Neuen Friedhof gab es solche Sonderflächen nicht. An der Sternschanze hatte sich jedoch bis zur Auflösung der alten Guts- und Forstbezirke 1928 ein forstfiskalischer Friedhof erhalten, auf dem auch Personen beerdigt wurden, die sich in den angrenzenden Wäldern erhängt hatten – damals die vorherrschende Art des Suizids. Noch bis DDR-Zeiten zeugten Reste von Grabsteinen davon, dann entstand dort ein Kindergarten. Der einzige in der Nähe erhaltene und noch genutzte forstfiskalische Friedhof, auf dem auch Selbstmörder beigesetzt wurden, befindet sich am Schildhorn in Berlin-Grunewald. Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts halte die Tendenz an, dass sich im Osten Deutschlands mehr Menschen umbringen als im Westen, so Wolf-Dieter Lerch, Chefarzt der Psychiatrie des Bergmann-Klinikums. Eine Rolle könnte dabei spielen, dass der Osten eher protestantisch und der Westen katholisch geprägt sei. E.Hoh/just
Es war gerade erst Sonntag vor einer Woche: Da stand in der Newton-Straße ein Mann auf dem Dach eines elfgeschossigen Hochhauses – mit der Absicht zu springen. Rund 20 Menschen sterben in Potsdam durchschnittlich jedes Jahr durch Selbstmord. 2005 waren es 21, 2004 20. Die Zahl schwanke von Jahr zu Jahr. Eine Tendenz sei für die Landeshauptstadt deshalb nicht erkennbar, so Heike Hendl vom Landesbetrieb für Statistik, das zum heutigen Welt-Suizid-Präventionstag die neuesten Daten herausgab. Lediglich 1990 – im Jahr nach der Wende – brachten sich wesentlich mehr Menschen um: 30 Potsdamer wählten damals den Freitod.
Ursache für einen Suizid seien häufig psychische Erkrankungen wie depressive oder schizophrene Störungen, aber auch Suchtkrankheiten und wirtschaftliche Krisen, so Wolf-Dieter Lerch, Chefarzt der Psychiatrie des Bergmann-Klinikums. Vor allem Männer töten sich selbst. Auch im vergangenen Jahr waren 13 der Todesopfer männlich, nur acht weiblich. Das Alter der Gestorbenen werde laut Hendl aus Datenschutzgründen nicht erhoben. Die Potsdamer Notfallseelsorger betreuen jedoch vorwiegend Erwachsende, so genannte Fazit-Selbstmörder. Menschen also, die „sich verrannt haben, die keinen Ausweg aus einer schwierigen Lebenssituation finden“, erklärt Marco Weiland, Leiter des Potsdamer Notfallseelsorge- Teams.
Zu rund 60 Einsätzen pro Jahr werden er und seine Helfer, darunter Pfarrer, Sozialpädagogen oder Lehrrettungsassistenten, gerufen. Zehn dieser Fälle „haben irgendwie mit dem Thema Suizid zu tun“, so Weiland: Entweder müssen sie Hinterbliebene über den Tod eines Angehörigen unterrichten oder einem Gefährdeten die Selbsttötung ausreden. Dafür haben alle elf Notfallseelsorger eine spezielle Ausbildung erhalten. Die ehrenamtliche Feuerwehreinheit hat sogar eine eigene Uniform: grüne Jacken mit der Aufschrift: „Notfallseelsorge“.
Über die Leitstelle von Feuerwehr und Polizei werden sie alarmiert, fahren im Privatauto dann zum Einsatzort und versuchen Lebensmüden Lösungen für ihre Probleme und Sorgen aufzuzeigen. So wie dem 44-Jährigen vergangene Woche am Stern. Vier Stunden dauerten die Verhandlungen, bis der Potsdamer bereit war, das Dach lebendig zu verlassen. Die teilweise 15-geschossigen Hochhäuser in den Plattenbaugebieten der Landeshauptstadt ziehen dabei offenbar Menschen mit Tötungsabsichten an. Nach Polizeiangaben versuchen dort oft auch Selbstmordwillige aus der Umgebung und Berlin in den Freitod zu springen. Trotzdem wählten im Land Brandenburg 2005 nur 5,7 Prozent aller 336 Selbstmörder diese Art des Sterbens. Ähnlich sehe es in Potsdam aus, schätzt Weiland. Die meisten würden sich „im Stillen“ erhängen oder vergiften. Wer in seinem Freundes- oder Verwandtenkreis Menschen kennt, die Selbstmord gefährdet sind, kann sich an den Hausarzt wenden oder an den sozial-psychiatrischen Dienst der Stadt unter Tel.: (0331) 289 24 28, rät Weiland.
Juliane Wedemeyer
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