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Links und rechts der Langen Brücke: Toleranz hat Grenzen!

Michael Erbach ist davon überzeugt, dass die Wiederaufarbeitung der DDR-Geschichte weiter notwendig ist – diese Woche hat gezeigt, warum

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Die Fördergemeinschaft Lindenstraße 54 hat sich dem Ziel verschrieben, aus dem früheren Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes und der DDR-Staatssicherheit eine Gedenkstätte zu gestalten. Die Mitglieder des Vereins sind von der Notwendigkeit ihres Tuns überzeugt. Allerdings hat es der Verein nicht leicht, denn Bemühungen um das Vergessen von DDR-Vergangenheit sind in Potsdam groß. Ob aus Scham, ob aus Angst vor der Wahrheit, ob aus dem Drang zum Verdrängen oder aus politischem Kalkül – das sei dahingestellt. Doch die Geschichte holt uns immer wieder ein. In dieser Woche lud ein Seniorenheim die Presse ein, um den Geburtstag eines 100-Jährigen öffentlichkeitswirksam zu begehen. Nur war jener Hermann Wohlgethan zu DDR-Zeiten Oberrichter und hat – nach Aufassung der Staatsanwaltschaft, die nach der Wende Ermittlungen aufnahm – in mindestens 63 Fällen DDR-Recht gebeugt, indem er überharte Strafen verhängte. Im Altersheim brüstet er sich jetzt mit seiner Vergangenheit, stolz zeigt er seine Ordenssammlung aus der SED-Zeit. Keinerlei Reue. Oberbürgermeister Jann Jakobs hat sich mittlerweile dafür entschuldigt, dass die Stadt diesem Unbelehrbaren offiziell zum Jubiläum gratulierte. Dies ist das Mindeste, was Jakobs tun konnte. Die Forderung von Opfern und Bürgerrechtlern ist richtig: Solch einem Mann gratuliert man nicht! Toleranz hat Grenzen! Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion des PDS-Fraktionschefs und Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Scharfenberg. Nicht nur, dass er sich über die Entschuldigung von Jakobs im Hauptausschuss empörte – ein PNN-Journalist, der an der kritischen Berichterstattung über Wohlgethan und seinen Geburtstag beteiligt war und damit zur Wahrheitsfindung beitrug, wurde von ihm übelst beschimpft. Man muss wissen: Scharfenberg ist innenpolitischer Sprecher der PDS-Landtagsfraktion. Er muss wissen, dass Wohlgethan selbst gegen DDR-Recht verstoßen hat und dass er seiner Strafe nur entkam, weil er aus Altersgründen als verhandlungsunfähig eingestuft wurde. Wir leben in einer toleranten Gesellschaft. Die Vergangenheit wird nicht permanent bemüht – diesen Umstand genießt auch Hans-Jürgen Scharfenberg, der selbstverständlich politisch frei agieren kann und auch soll, obwohl er vom 24. November 1976 bis zum 9. September 1985 unter dem Decknamen „Hans-Jürgen“ als Informeller Mitarbeiter (IM) der Stasi geführt wurde. Niemandem soll allein aus seiner Vergangenheit ein Nachteil erwachsen. Doch niemand darf erwarten, dass heutiges Agieren unbemerkt bleibt. Auch wegen der Vergangenheit.

Michael Erbach

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