Landeshauptstadt: Tram-Unfall: Sind Tatras sicher genug?
ViP-Chef: Hergang „unwahrscheinlich“ – doch Anfahrblockade registriert eingeklemmte Hand nicht
Stand:
Am Stern - Der Geschäftsführer des Potsdamer Verkehrsbetriebs (ViP), Martin Weis, wies gestern Berichte zurück, nach denen ein Mann von einer Straßenbahn mitgezogen worden ist. Der Unfall ereignete sich nach Angaben der Polizei am Neujahrsmorgen um 4.13 Uhr: Ein 39-Jähriger habe einer Bekannten in der Bahn an der Haltestelle Max-Born-Straße zum Abschied die Hand gereicht, als sich die Türen der Tram plötzlich schlossen, so Polizeisprecher Karsten Blöss. Dabei sei die Hand des Mannes eingeklemmt und dieser durch die anfahrende Bahn mitgeschleift und schwer verletzt worden. Laut Blöss hatte die Polizei am Tatort kurz nach dem Unfall mehrere Zeugen befragt, neben Fahrgästen auch die Straßenbahnfahrerin.
Offenbar hatte diese den Mann bemerkt, nachdem sie während der Anfahrt in den Rückspiegel gesehen hatte. Die Fahrerin habe sofort gebremst. Zeitgleich hatten mehrere Fahrgäste die Notbremse gezogen. Während der Bremsung sei der Mann zwischen die Waggons gestürzt und zwischen Bahnsteigkante, Gleisstrang und der ersten Achse gefangen gewesen. Die Feuerwehr musste den Waggon mit schwerem Gerät anheben, um den Schwerverletzten darunter hervorziehen zu können. Soweit die bisherigen Ermittlungen der Polizei.
ViP-Chef Martin Weis hält diesen Unfallhergang für „höchst unwahrscheinlich“. Laut Weis habe der Verkehrsbetrieb bisher aber bis auf die Fahrerin keine weiteren Unfallzeugen befragt. Nach Ansicht des Geschäftsführers sei der Mann an die Scheibe klopfend neben der Bahn her gelaufen, dabei ausgerutscht und unter die Tram gestürzt. Die Fahrerin habe dies sofort bemerkt und daraufhin gebremst. Zudem könne keine Straßenbahn in Potsdam losfahren, wenn sich irgendetwas zwischen den Türen befände. Das sei „technisch unmöglich“, so Weis. Allerdings haben die Trams vom Typ Tatra, zu denen auch die Unfallbahn gehört, nur im unteren Eingangsbereich auf Höhe der drei Stufen eine Lichtschranke. Darum seien die automatisch schließenden Türen so eingestellt, dass sie sich nicht schließen könnten, sobald sich ein mindestens drei Zentimeter dicker Gegenstand zwischen ihnen befindet. Als Maß wird dazu ein entsprechend breiter Holzklotz benutzt. Die Sicherungseinbauten hätten auch bei der Unfalltram funktioniert, dies sei bereits gestern überprüft worden. Doch eine Hand ist meist schmaler als drei Zentimeter und weicher als Holz. Und so musste der Geschäftsführer des ViP gestern nach einem Test gegenüber den PNN einräumen, dass es möglich sei, sich die Hand zwischen Straßenbahntüren einzuklemmen. In diesem Falle würde auch die Anfahrblockade nicht mehr funktionieren und die Bahn könnte starten.
Zwar seien die Fahrer angewiesen, vor dem Anfahren in den Rückspiegel zu sehen und zu überprüfen, ob an den Türen alles in Ordnung sei, verpflichtet seien sie dazu aber nicht, so Weis. Auch habe die Mitarbeiterin, die die Unfallbahn fuhr, nach seiner Meinung richtig gehandelt. Schließlich habe sie sofort gebremst. Zudem könne eine eingeklemmte Hand mit Kraft und Anstrengung vom Betroffenen wieder herausgezogen werden, weil die Türen mit Gummileisten gesichert sind. Dies demonstrierte Weis gestern an der Unfallbahn in der ViP-Wartungshalle an der Fritz-Zubeil-Straße. Dass jemand mit der Hand in der Tür stecken bleibe, sei darum ein „extremer Ausnahmefall“, so Weis.
Beim Erfurter Verkehrsunternehmen Evag klemmen sich dagegen „ein- bis zweimal im Jahr“ Fahrgäste Hände oder Finger in den Türen der Tatra-Bahnen ein. Das sagte gestern der Unternehmenssprecher Volker Krebs den PNN. Allerdings sei in solchen Fällen noch nie eine Tram losgefahren, weil die Fahrer vor der Abfahrt einen Blick auf die Türen werfen. Dazu ständen zusätzlich zu den Rückspiegeln der Bahnen an den Haltestellen spezielle Spiegel, so Krebs. In der thüringischen Landeshauptstadt sind zur Zeit 20 der tschechischen Trams im Einsatz. In Potsdam fahren von den rund 20 Jahre alten 70 Tatras des ViP noch 36 regelmäßig in der Stadt umher. Nach Ansicht des ViP-Chefs seien sie genauso sicher wie die 16 Combino-Bahnen des Unternehmens. Dennoch hofft Weis, dass der ViP spätestens Ende 2008 die ersten neuen Straßenbahnen benutzen kann. Insgesamt 19 weitere moderne Trams wünscht sich der Geschäftsführer für Potsdam. Zurzeit liege der Ankauf wegen eventueller Sparmaßnahmen auf Bundesebene noch „auf Eis“.
Die am Unfall beteiligte Straßenbahnfahrerin habe ihren Dienst vorerst abgebrochen und werde psychologisch betreut. Weis persönlich habe versucht, Kontakt zu dem Unfallopfer aufzunehmen, das die Feuerwehr am Sonntagmorgen ins Klinikum gebracht hatte. Lebensgefahr besteht laut Polizei nicht.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: