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Homepage: Transnationaler Spagat

Abschied von Prof. Konrad H. Jarausch, Co-Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung

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Wie oft wird der Auszug deutscher Eliten beklagt, die auf der Suche nach beruflichem Erfolg in die Fremde ziehen. „Brain Drain“ ist zum Schlagwort für die Bildungsflucht geworden. Landauf, landab redet man sich die Köpfe heiß, wie dieser Trend zu stoppen sei. Doch selten fällt der Blick auf Menschen, die den transnationalen Spagat wagen. Wie etwa der Historiker Konrad H. Jarausch (65), seit 1994 Co-Direktor des Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) und zugleich Professor in Chapel Hill, North Carolina. Jarausch zeigt, dass es möglich ist, in zwei völlig unterschiedlichen Wissenschaftskulturen zu Hause zu sein.

Nun hat das ZZF mit einem Festkolloquium seinen Co-Direktor im Kutschstall mit viel Dank in den Ruhestand verabschiedet. Er sei ein großartiger Partner gewesen, der nahezu jederzeit für jedes Problem ein offenes Ohr und meist auch eine „pfiffige Lösung“ parat gehabt habe, bekannte der seit 2004 amtierende ZZF-Direktor Prof. Martin Sabrow. Besonderen Dank richtete auch Wissenschaftsministerin Prof. Johanna Wanka an Jarausch. Erst vor wenigen Wochen wurde das ZZF auf Empfehlung der Bund-Länder-Kommission hin in die Leibnitz-Gesellschaft aufgenommen, ein Erfolg, an dem Jarausch ganz wesentlichen Anteil gehabt habe. Als das Institut noch in den Kinderschuhen steckte, führte er an der Seite von Prof. Christoph Kleßmann ost- und westdeutsche Wissenschaftler zusammen. Ihm lag daran, jenseits von Verklärung und Verhöhnung ein differenziertes Bild der DDR-Geschichte zu zeichnen. Dabei zeigte er immer auch Verständnis für die persönlichen Erfahrungen der Menschen, ohne dass dies seine wissenschaftlich-kritische Sicht eingetrübt hätte. Vielleicht gelang ihm dies, weil er selbst um die Wirkungsmacht der biographischen Prägung wusste.

Schon früh verlor der 1941 in Magdeburg geborene Jarausch seinen Vater. Er fiel 1942 als Soldat in Russland. Über Niederbayern verschlug es den Halbwaisen mit seiner Mutter nach Krefeld, doch schon mit 18 Jahren verließ er die als eng empfundene Adenauer-Republik und ging in die USA. Dort begann er seine Laufbahn mit einem Studium der Amerikanistik an der University of Wyoming, es folgten Promotion und wissenschaftliche Anerkennung. Aus einem einfachen Studienaufenthalt wurde so ganz „ungeplant“ eine Emigration, der entscheidende „(Aus-)Bruch“ in seiner Biographie, wie er heute gesteht. Er habe sich zwar „ohne den Ballast von europäischer Hochkultur und nationaler Schuld“ quasi „neu erfunden“. Doch die Geschichte seines Herkunftslandes verlor er nie aus den Augen.

So spiegeln sich nicht zuletzt in seinem umfangreichen wie vielseitigen wissenschaftlichen Werk jene biographischen Einschnitte der Kindheit, die ihn ein Leben lang prägten. Ob zum Reichskanzler Bethmann-Hollweg, zum Aufstieg Hitlers oder zur Fischer-Kontroverse, immer wieder sind es entscheidende Bruchstellen der deutschen Geschichte, die ihn wie zuletzt in seinem Buch „Deutsche Wandlungen“ beschäftigen. Vielleicht ist es seinem Werdegang im liberalen amerikanischen Bildungssystem zu danken, dass er dabei stets ein Plädoyer für die Werte der aufgeklärten Demokratie hielt.

So war es wohl kein Zufall, dass Jarausch schon frühzeitig Kontakte nach Deutschland knüpfte. Bis er schließlich die Chance der „unverhofften Einheit“, so der Titel eines seiner zahlreichen Bücher, nutzte und 1994 nach Potsdam ging. Jarausch entschied sich für die Doppelexistenz, eine Herausforderung, die er trotz gelegentlichem Jetlag gern annahm. Sie habe den Reiz besessen, wissenschaftlichen Auseinandersetzungen gelassen mit einem „Blick von außen“ wie „von innen“ zu begegnen.

Dass das ZZF heute nicht nur kritische Forschung betreibt, sondern mit zahlreichen Veranstaltungen, internationalen Tagungen, vielbeachteten Publikationen und Onlineportal in die Öffentlichkeit hineinwirkt, sei nicht zuletzt dem „Pioniergeist“ Jarauschs zu verdanken, so Wanka. Gegen anfängliche Kritik und manche Schwierigkeiten habe sich das ZZF im Laufe der Jahre zu einem der führenden Zeitgeschichtsinstitute in Europa entwickelt.

Für Dr. Hinrich Enderlein, der seit seiner Zeit als brandenburgischer Wissenschaftsminister (1990-94) dem ZZF stets zur Seite stand, passt Jarausch nicht in das Klischee eines deutsch-amerikanischen Historikers. In der Gründungsphase des ZZF habe dieser vielmehr die ungewisse Perspektive nicht gescheut, mit seinem Sachverstand das Profil des Instituts geschärft und zu einer seriösen Streitkultur um zentrale Fragen zur deutschen und europäischen Zeitgeschichte beigetragen.

Zumindest als Senior Fellow wird Jarausch dem ZZF erhalten bleiben, in den USA kann er indes an seinem Stifterlehrstuhl weiterarbeiten. Konrad Jarausch, ein „transatlantischer Bürger par excellance“, sei nicht zuletzt ein Vorbild für den erfolgreich praktizierten Wissenschaftsaustausch, befand Michael Geyer, selbst aus Baden stammend und in Chicago lehrend. Dies um so mehr, wenn man in die Zukunft des Bildungssystems blicke. Heute gelte das amerikanische Hochschulwesen vielen als richtungsweisend, doch die wenigsten erinnerten sich daran, dass es einst die deutsche Universität in ihrer „Quintessenz“ von moderner Forschung und Lehre war, die in den USA nachgeahmt wurde.

Michael Geyer sieht das Bildungssystem weltweit vor gewaltige Veränderungen gestellt. Es werde künftig immer mehr darauf ankommen, nationale Ressentiments zu überwinden und sich transnational in Forschung und Lehre zu organisieren. „Wir brauchen“, so Enderlein, „noch viele, viele Jarauschs“.

Carsten Dippel

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