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Von Antje Horn-Conrad: Twittern untern Lindenbaum

„Wie vor hundert Jahren“: Lehramtsstudierende der Uni Potsdam organisieren historisches Feriencamp im Lindenpark

Stand:

Ferien ohne Computer. Kein Gameboy, kein iPod. Was für eine Stille ohne Musik aus der Konserve und MP3-Player. Wie haben das die Kinder nur ausgehalten, damals vor hundert Jahren?

„Sehr gut“, meint Karoline Willert. „Auf jeden Fall haben sie sich in den Ferien mehr bewegt“, sagt die angehende Lehrerin, die in der kommenden Woche mit Potsdamer Schülern in ein Sommercamp „Wie vor hundert Jahren“ verreist. Weit braucht sie dorthin nicht zu fahren. Die Vergangenheit liegt ganz nahe: im Babelsberger Lindenpark.

Gemeinsam mit ihren Kommilitonen, rund 30 Lehramtsstudierenden der Universität Potsdam, will sie den 5- bis 14-Jährigen beweisen, dass man – zumindest eine Woche lang – auch ohne Internet chatten, twittern und surfen kann. Unter den hohen Bäumen des Gartens im Lindenpark werden sie echtem Vogelgezwitscher lauschen und wunderbar miteinander schwatzen. Auch braucht es keinen Mausklick, um durch virtuelle Welten der Vergangenheit zu surfen, sondern nur etwas Fantasie und Geschick. „Die Kinder werden töpfern, Papier schöpfen und Brot backen“, kündigt Karoline Willert an. So können sie historisches Handwerk im wahrsten Sinn des Wortes „begreifen“.

Sie selbst hat für das Sommercamp alte Kinderspiele herausgekramt: Murmeln, Hopse, Schiebekarre und Plumpsack. Außerdem will sie mit einigen Kindern auf der Havel paddeln. Auf dem Weg zur Wassersportstation der Universität in Hermannswerder werden die Schüler wie anno dazumal mit der bald hundertjährigen S-Bahn fahren und anschließend ein Stück wandern, mit Karte und Kompass. „Mal sehen, ob sie sich auch ohne modernes Navigationssystem orientieren können“, lacht die Studentin, die sich auf das Lehramt für das Fach „Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde“ vorbereitet. Das Sommercamp nimmt Karoline Willert als eine gute Gelegenheit, Praxiserfahrungen zu sammeln. „Im Studium kommt das einfach zu kurz“, bemängelt sie. Viel zu selten habe sie bislang selbst unterrichten dürfen.

Rund 120 Mädchen und Jungen werden im Camp erwartet, das die Universität bereits zum zweiten Mal mit Partnern im Lokalen Bündnis für Familien in Babelsberg organisiert. „Für uns ist das nicht nur soziales Engagement in der Stadt, sondern auch ein Beitrag, die Potsdamer Universität zu einer familiengerechten Hochschule umzugestalten“, erklärt deren Gleichstellungsbeauftragte Barbara Schrul. Die Ferien- und Semesterzeiten seien nicht identisch. Viele Studierende und Angestellte der Universität suchten deshalb gerade in den Sommerferien nach attraktiven Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder. „Unser Camp ist interessant und lehrreich und mit einem Beitrag von 20 Euro für die gesamte Woche auch ausgesprochen günstig“, so Barbara Schrul. Zu leisten sei dies jedoch nur, weil sich so viele Studierende ehrenamtlich engagierten, wie zum Beispiel Toni Gramß. Als künftiger Geschichtslehrer reizt ihn die historische Ausrichtung des Camps, auch wenn ihm hier die etwas undankbare Aufgabe des Frühsportanimateurs zukommt. Trudeln die Kinder morgens ab halb neun im Lindenpark ein, wird er sie mit gymnastischen Leibesübungen in Bewegung halten.

Anschließend können die Schüler an verschiedenen Stationen die Lehrfähigkeit der angehenden Pädagogen testen. Da geht es um historische Ereignisse vor hundert Jahren, um große Entdeckungen in der Wissenschaft, den Alltag auf einem Bauernhof, um Heilmethoden und Kräuterkunde. Spätestens aber, wenn das Lagerfeuer knistert, Geschichten erzählt und Knüppelkuchen gebacken werden, dürfte die Erinnerung an den heimischen Computer verblasst sein.

Im Lindenpark, 27.-31. Juli, tägl. 8.30-15 Uhr, Anfragen unter Tel. 977 14 00.

Antje Horn-Conrad

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